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Die neue Volksfront

Ein deutscher Professor entdeckt "das Problem Israel"

Daß Israel "ein Problem" ist und Mörderbanden wie die Hamas ein heiliges Recht haben, Juden umzubringen, ist unter Islamisten und anderem braunem Pack Konsens. "Dieser zionistische Fremdkörper im Herzen der Islamischen Welt darf unter keinen Umständen bestehen bleiben", dekretieren die islamischen Faschisten vom Magazin Explizit und fordern, alle Verhandlungen einzustellen, weil "das Problem 'Israel' für uns keine Grenzfrage, sondern eine Existenzfrage ist". Was wäre ein Pogrom ohne ein juristisches Gutachten, aus dem hervorgeht, daß es zur Vollstreckung ewiger und unverbrüchlicher Rechte begangen wird? Explizit macht vor, wie es geht: "Der gesamte Boden Palästinas ist seit seiner Eroberung unter dem Kalifen Omar ibn Al-Khattab Eigentum der Islamischen Umma [Gemeinschaft]". Wer den Staat Israel anerkennt, begehe "Verrat an Allah, seinem Gesandten und den Gläubigen". Es könne auf den Zionismus nur eine Antwort geben: den Jihad: "Allah der Erhabene befiehlt: [...] 'Und tötet sie, wo immer ihr sie zu fassen bekommt und vertreibt sie von wo sie euch vertrieben haben!'" (Explizit, März-Juni 2002).

So weit wagen sich die deutschen Friedensfreunde bisher nicht vor. Doch im Grundsatz ist man sich einig: "Das Problem heißt Israel" (FAZ, 9. 12. 01). Gäbe es Israel nicht, herrsche auf der Welt Frieden und Gerechtigkeit, raunt es aus allen Ecken, und ohne daß sich irgendwer verabredet hätte oder sich auch nur der Übereinstimmung bewußt wäre, formiert sich derzeit eine Querfront, die von NPD über sämtliche politischen Parteien bis hin zu PDS und DKP reicht und vom Mob der deutschen GlobalisierungsgegnerInnen, Friedensbewegten und NationalbolschewistInnen angeführt wird.

In dieser Situation entdeckt nun auch ein Marburger Emeritus, der als Faschismustheoretiker bekannt ist und von Gewerkschaftslinken gerne zu motivierenden Vorträgen eingeladen wird, "das Problem Israel". So der Titel eines öffentlich angekündigten Vortrages, den der vermeintliche Antifaschist Reinhard Kühnl im Rahmen eines Seminars über Israel bei Maria Sporrer hielt. Dieser Titel ist an sich schon eine Unverschämtheit. Er verspricht einen Flirt des Antifaschisten mit dem Antisemitismus, also gerade das, wonach sich das deutsche Publikum die Finger leckt. Kühnl hielt, was er versprach (Siehe S. 9/10).

Es ginge an der Sache vorbei, wollte man Kühnl Verrat an seinen früheren Überzeugungen vorwerfen. Bei näherer Betrachtung stellt sich nämlich heraus, daß sein Ideal eines friedlichen, harmonischen Rechtszustandes, auf der auch seine faschismustheoretischen Erörterungen basieren, ohne einen Bösewicht, der für das Scheitern des Ideals verantwortlich sein soll, nicht zu haben ist.

Reinhard Kühnl erkämpft das Menschenrecht

Schon seit Jahren propagiert Kühnl die allgemeine Durchsetzung des Rechtszustandes, den er durch den in der bürgerlichen Gesellschaft praktizierten Konkurrenzkampf, in dem das Recht des Stärkeren herrscht, behindert sieht. Er glaubt, auf Grundlage der Menschenrechte eine "politische und moralische Alternative zum real existierenden Kapitalismus" formulieren zu können: "Die allgemeinen Menschenrechte setzen die Gleichheit der Rechte für alle Menschen voraus, und sind eine Negation dieses anderen Prinzips: Naturgesetz ist, daß der Stärkere sich durchsetzt, und der Schwächere auf der Strecke bleibt." (1) Jede Verrechtlichung der gesellschaftlichen Beziehungen betrachtet Kühnl als Fortschritt hin zu einem Zustand, in dem die Gewaltsamkeit der Beziehungen zwischen den Menschen verschwunden und die Ideale der französischen Revolution verwirklicht sein sollen. Diesen Zustand stellt sich Kühnl einigermaßen paradiesisch vor. Deshalb setzt er ihn mit dem von Marx und Engels angestrebten Verein freier Menschen gleich.

Die Bezugnahme auf Marx und Engels beruht auf einem interessierten Mißverständnis. Denn gerade das, was Kühnl sagt, ist schon von Marx vernichtend kritisiert worden. Denjenigen, die wie Kühnl in Geld oder Kapital eine Verfälschung von Freiheit und Gleichheit sahen, hielt Marx entgegen, "daß der Tauschwert oder näher das Geldsystem in der Tat das System der Gleichheit und Freiheit ist und daß, was ihnen in der näheren Entwicklung des Systems störend entgegentritt, ihm immanente Störungen sind, eben die Verwirklichung der Gleichheit und Freiheit, die sich ausweisen als Ungleichheit und Unfreiheit" (2). Freiheit, Gleichheit und Eigentum, die in der déclaration des droits de l'homme et du citoyen von 1789 festgeschrieben wurden, sind die juristischen Formen, in denen sich das Kapitalverhältnis durchsetzt. Jede Erniedrigung oder Kränkung, die die Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft erfahren, ist vermittelt durch die Freiheit und Gleichheit, in der sie sich auf dem Markt gegenübertreten. Die Sphäre der Warenzirkulation ist, wie Marx spottete, "in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte" (3). Daß die unmittelbaren Produzenten nach getaner Arbeit genauso arm sind wie zuvor, während der produzierte Reichtum beim Unternehmer verbleibt, ist durchaus kein Unrecht, sondern im Arbeitsvertrag, einem Kontrakt zwischen freien und gleichen Rechtssubjekten, vorgesehen. Nicht nur bei der Ausbeutung geht es im Kapitalismus ungeheuer legal zu. Was Kühnl für den ultimativen Verstoß gegen die Menschenrechte hält, die Konkurrenz, ist von der Konstitution des bürgerlichen Rechtssubjekts gar nicht zu trennen. Die Menschenrechte schaffen den Krieg aller gegen alle nicht ab, sondern stiften ihn als allgemeine Konkurrenz der Privateigentümer immer wieder neu. Das heiligste aller Menschenrechte, die Freiheit des Privateigentums, "läßt jeden Menschen im andern Menschen nicht die Verwirklichung, sondern vielmehr die Schranke seiner Freiheit finden" (Marx) (4). Oder, anders ausgedrückt, hier heißt es "Er oder ich" (Kühnl). Weil der Krieg aller gegen alle nicht zu einem Gemetzel, sondern zum nationalen Reichtum führen soll, unterwirft ihn der Staat als "common Power to keep them all in awe" (Hobbes) (5) bestimmten Regeln: Morden und Plündern ist verboten. Es bedarf einer über der Gesellschaft stehenden institutionalisierten Zwangsgewalt, die über die Einhaltung des prekären Friedens wacht. Nur wenn man Polizeiknüppel, Gefängnis und finalen Rettungsschuß nicht als Gewalt betrachtet, kann man behaupten, daß diese mit der Durchsetzung der Menschenrechte verschwindet.

Obwohl auch Kühnl dazu neigt, den Mehrwert als Raub zu betrachten, den sich die Kapitalisten durch ein quasi-feudales Privileg und allerhand kriminelle Machenschaften ("Wirtschaftskriminalität") unter den Nagel reißen, geht es noch nicht sofort los mit der Fahndung nach den Störern, die die Menschenrechte in ihr Gegenteil verkehrt haben sollen. Ein bißchen ist dann doch von der Marxschen Kritik der Menschenrechte hängengeblieben. Kühnl kommt der Wahrheit ziemlich nahe, wenn er feststellt, daß der Widerspruch zwischen der bürgerlichen Klassenherrschaft und dem aufklärerischen Pathos der Befreiung der Menscheit "schon in der Deklaration der Menschenrechte angelegt" gewesen sei, und fragt: "Was bedeutet 'Gleichheit'? Und wie ist deren Beziehung zur 'Freiheit' zu bestimmen?" Ganz kurz ist etwas von jenem aufklärerischen Pathos zu spüren, das einmal die Kritik der bürgerlichen Verhältnisse beseelte. Die Möglichkeit einer befreiten Menschheit blitzt auf - und ist einen Augenblick später schon wieder vergessen. Kühnl dementiert alles mit dem unmittelbar folgenden Satz: "Konkret: Sollten auch die Besitzlosen das Wahlrecht erhalten oder gar soziale Rechte?". (6) Das ist für Kühnl der Gipfel der Emanzipation: die Erweiterung der Menschenrechte um "politische und soziale Rechte" für die Besitzlosen. Man braucht nicht einmal am Lack zu kratzen, um seine schäbige Utopie zum Vorschein zu bringen. Kühnl erweist sich als würdiger Erbe des Kathedersozialismus, der Zuckerbrot-und-Peitsche-Philosophie preußischer Pfaffen und Professoren: Die Besitzlosen sollen besitzlos bleiben und zur Belohnung für ihren Verzicht auf die Revolution der Segnungen des sozialdemokratisch reformierten Volksstaates teilhaftig werden.

Der ehrliche Nationalsozialismus

Die Menschenrechtserklärung von 1948, mit der Kühnl triumphierend herumwedelt, verleiht jedem, der zu verhungern droht, das Recht auf "Hilfsmittel". Wie eine Gesellschaft aussieht, die solcher Rechte bedarf, liegt auf der Hand: Nur wo der Normalzustand der ist, daß sich die Menschen nicht sicher sein können, ob sie die nächsten Wochen überleben - und das können sie nicht, weil sie bloß Anhängsel eines selbst-referentiellen Prozesses (nämlich des Verwertungsprozesses) sind, der sie mit steigender Produktivität überflüssig macht - kommen sie auf solche Ideen. Was das bringt, kann man in Afrika, Asien, Lateinamerika und überhaupt fast überall sehen. Nur dort, wo die Nationalökonomie profitabel genug ist und die Grenzen für Einwanderer dicht sind, kann sich der Staat den Unterhalt nutzloser Esser leisten. Die Ausnahme bestätigt die Regel: Was unter "Hilfsmitteln" zu verstehen ist, liegt in der Willkür des jeweiligen Staates, und in der Krise gibt die Nationalökonomie eben nicht viel her. Die "sozialen Menschenrechte" können das Elend nicht abschaffen. Statt dessen werden in ihnen die Verhältnisse bejaht, die die Menschen in Almosenempfänger verwandeln und sie auf Gedeih und Verderb an den Staat ketten. Die Nationalökonomie, die die Menschen erst in ihre lebensbedrohliche Lage bringt, verwandelt sich in eine Einkommens- und Almosenquelle, die gehegt und gepflegt werden will. Der Staat, der den üblen gesellschaftlichen Zustand durch Polizeigewalt aufrechterhält, mutiert zum besten Freund des kleinen Mannes, der ihm einen Schein zusteckt.

Die Versöhnung mit dem geläuterten Staat ermöglicht die Demokratie, die Regierung mit Zustimmung der Regierten. Kühnl berauscht sich an den Zauberwörtern "Volkssouveränität" und "Selbstbestimmungsrecht der Völker". Der in den Menschenrechten "angelegte" Widerspruch zwischen Freiheit und Zwang ist verschwunden: Freiheit und Zwang fallen jetzt unmittelbar zusammen. Alles ist gut. Nur seltsam, irgendwie will sich das versprochene Paradies nicht so recht einstellen. Das ist Kühnl natürlich nicht entgangen, und darum fällt ihm etwas ein: Menschenrechte und Volkssouveränität seien eben noch nicht genügend "verwirklicht". Wenn sie es wären, so Kühnl, lebten wir im Sozialismus. Was auf den ersten Blick nach einer Kritik der kapitalistischen Verhältnisse aussieht, läuft auf ihre Bestätigung hinaus, denn Kühnl kann sich unter Sozialismus nur die Verlängerung und Vollendung des Bestehenden, des sozialen Volksstaates, vorstellen. Die Versöhnung mit dem Kapital, der Fluchtpunkt aller sozialdemokratischen Bestrebungen, wäre tatsächlich erst vollendet mit einer "demokratischen Gestaltung" (Kühnl) (7) der kapitalistischen Produktion. Wer ist bloß daran schuld, daß es noch nicht so weit ist?

Der Widerspruch zwischen Freiheit und Zwang, der in Wirklichkeit natürlich doch nicht verschwunden ist, taucht wieder auf als empirischer Gegensatz: hier der Volkssouverän, der nach der Verwirklichung der "Menschenrechte" = "Sozialismus" = Sozialdemokratie strebt, dort eine Bande von Schurken, die versucht, ihn daran zu hindern. Das Täterprofil ist klar. Der Bösewicht ist Propagandist alles dessen, was der "politischen und moralischen Alternative" entgegensteht - und nun versteht man, was Kühnl mit "Konkurrenz" meint: der egoistische Bürger, dem es an Gemeinsinn mangelt und der einfach nicht einsehen will, daß der Staat, der ihn an die Kandare nimmt, seinen Schrecken dadurch verliert, daß er neben Peitschenhieben auch Zuckerbrot zu verteilen hat. Der an sich gute Staat, der eine soziale Demokratie sein könnte, ist durch böse Kapitalisten und ihre Freunde gekapert worden. Der Inbegriff der Usurpation ist deshalb die Steuerhinterziehung, mit der die Kapitalisten das Volk um das betrügen, was ihm legal zusteht. Da gilt es allerlei Verschwörungen aufzudecken, mit denen "der enorme und ständig wachsende gesellschaftliche Reichtum gezielt in die Hände einer kleinen privaten Minderheit geleitet wird" (8).

Kühnl beruft sich bei alledem auf die französische Revolution. Hinter der jakobinischen Maske schaut aber bloß der postfaschistische deutsche Souverän hervor. Wie sein Lehrer Wolfgang Abendroth begeistert sich Kühnl für das Grundgesetz, besonders für Artikel 14, der u. a. besagt, daß der Gebrauch des Kapitaleigentums nicht nur dessen Vermehrung, sondern "zugleich dem Wohle der Allgemeinheit" dienen müsse. Robespierre, lehrt Kühnl, habe diese famose Einrichtung erfunden. Doch erst der Nationalsozialismus brachte das Prinzip "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" so richtig zu Ehren. Er schuf nicht nur die Autobahnen, auf denen die Bundesbürger später mit ihren KdF-Autos herumfuhren, sondern auch ein Element der Verfassung, auf das die Mütter und Väter des Grundgesetzes besonders stolz sind: Die berühmte "Wertordnung" ("FDGO"), die dem geschriebenen Gesetz vorgeordnet ist, der Erkenntnis entzogen bleibt und deshalb von einem Gremium ausgelegt werden muß, das keinen Widerspruch duldet, dem Bundesverfassungsgericht. Sie hieß natürlich zu NS-Zeiten ein wenig anders, nämlich "Grundsätze des Nationalsozialismus" (9) . Die Maximen der faschistischen Solidargemeinschaft von Kapital und Arbeit finden sich, demokratisch aufgemöbelt, in der "FDGO" wieder. Spätestens seit dem KPD-Verbotsurteil ist bekannt, daß Parteien nach Art. 18 dazu verpflichtet sind, für den "Ausgleich der 'Klassengegensätze'" (BverfGE 5,85) zu sorgen. Es ist nur folgerichtig, wenn im Grundgesetz festgeschrieben wird, das Kapital müsse, wie die entsprechende Wendung im NS-Jargon lautet, schaffendes statt raffendes Kapital sein.

Daß die Formel von der "Sozialbindung des Eigentums" nur eine neue Version der NS-Parole "Gemeinnutz vor Eigennutz" ist, hindert Kühnl nicht daran, sich stolz auf sie zu berufen. Gerade diese Norm, halluziniert er, sei ein Schritt hin zum Sozialismus; sie müsse nur erst "realisiert" werden (10). Schon jetzt sei die Sozialstaatlichkeit "eine Barriere gegen die Wirkungsmacht faschistischer Ideologien" (11).

Demokratisiert und in Sozialpartnerschaft umbenannt, wird die Volksgemeinschaft für Kühnl annehmbar, ja ein Ausweis antifaschistischer Läuterung. Entsprechend sieht dann auch die Faschismuskritik aus: Der Nationalsozialismus erscheint weniger als Massenverbrechen denn als Verschwörung, pardon: Bündnis, geschmiedet gegen den Volkssouverän. Hitler ist als Prophet des Konkurrenzkampfes, der mit den egoistischen Bürgern, den alten Feinden des Sozialstaats, unter einer Decke steckte, für Kühnl Prototyp des liberalistischen Schurken. Kühnl wirft ihm allen Ernstes vor, die Deutschen um die Volksgemeinschaft betrogen zu haben: "Volksgemeinschaft wird als bereits bestehend, mit der Existenz des Volkes von Natur [!] aus gegeben dargestellt, so daß die bestehende Herrschaft als gerechtfertigt erscheint und eben diejenigen, die die Klassenherrschaft überwinden und die wirkliche Volksgemeinschaft damit erst herstellen wollen, als Unruhestifter und Volksfeinde diffamiert werden können." (12) Hitler war also ein Betrüger. Doch gab es da nicht auch "subjektiv ehrliche" Nationalsozialisten, die das richtige wollten? Wer sucht, der findet. Der Strasser-Flügel der NSDAP habe, so Kühnl, "die theoretische Basis des Marxismus übernommen" und sich gegen "die Reduzierung des nationalen Sozialismus auf den Antisemitismus" gewandt, ja eine "eindeutig klassenkämpferische Linie" vertreten (13). Eben deshalb sei er 1934 von dem heuchlerischen, mit dem Monopolkapital verbandelten Hitler ausgeschaltet worden. Man begreift, warum Kühnl bei jeder Gelegenheit betont, eine Ideologie müsse Momente der Wahrheit enthalten, um Anhänger zu finden.

Volksgemeinschaft heißt jetzt Völkergemeinschaft

Jeder Staat kann gegen jeden anderen seinen Anspruch auf Souveränität geltend machen. Er selbst definiert, bis wohin sein Gewaltmonopol reicht, und wenn ihm ein anderer Staat in die Quere kommt, führt er Krieg oder gibt jedenfalls zu verstehen, daß er es könnte. Der Kriegszustand reproduziert sich im Verhältnis der Staaten untereinander. Zwischen ihnen gilt das Recht des Stärkeren. Wäre es anders, hielten sich die Staaten keine Armeen, und Verteidigungsministerien wären unbekannt. Peinlich für die Fans des angeblich gewaltfreien Rechtsstaats. Doch Kühnl gibt sein Ideal so schnell nicht auf.

Deshalb nimmt er Zuflucht zu einem alten Projekt: der Stiftung von Frieden durch das Völkerrecht, das durch eine überstaatliche Instanz, den Völkerbund, garantiert werden soll. Daß es sich um eine Illusion handelt, hat noch der Hobbes-Schüler Kant halb durchschaut, indem er zugab, daß die Idee des Völkerrechts "die Absonderung vieler von einander unabhängiger benachbarter Staaten" voraussetzt, also einen Zustand, der "an sich schon ein Zustand des Krieges ist" (14). Kühnl ist dann auch bescheiden und verlangt lediglich die Bindung von zwischenstaatlicher Gewalt an Recht, also nicht die Abschaffung des Krieges, sondern bloß seine Regelung. Da er aber unfähig ist zuzugeben, daß die von ihm idealisierte UNO grundsätzlich nicht imstande ist, einen Zustand ohne Kriege zu stiften, schiebt er die Schuld daran den USA zu: sie sabotierten das Völkerrecht, indem sie das "Recht des Stärkeren", das "Rambo-Prinzip" kultivierten und eine "Demokratisierung der UNO" verhinderten (15). Soll heißen, die USA beharren auf ihrer Souveränität, die die UNO-Vollversammlung ihnen streitig machen will, und widersetzen sich einer Schwächung des Sicherheitsrats, in dem bekanntlich Deutschland keinen festen Sitz hat, dafür aber die Siegermächte des zweiten Weltkriegs. Das Muster "Konkurrenz vs. Demokratie" wiederholt sich, nur daß die Volksgemeinschaft diesmal Völkergemeinschaft heißt. Strasser läßt grüßen: Schon 1926 stand bei der "nationalsozialistischen Linken" (Kühnl) ein "Bund der unterdrückten Völker" auf dem Programm, ein Völkerbund ganz ohne die Imperialisten von der Entente. Eine UNO, wie sie Kühnl vorschwebt, würde sich von den USA nur dadurch unterscheiden, daß in ihr deutsche Hilfsvölker das Sagen hätten, die statt des liberalen Kapitalismus den Volksstaat zum Ideal erhoben haben; ansonsten würde sie genau das tun, was Kühnl den USA vorwirft: "Der Krieg fungiert hier als Bestrafung für eine als Unrecht definierte Handlung des Anderen" (16).

Die Idealisierung der Rechtsverhältnisse führt, wenn sie begleitet ist von Ressentiments gegen die rechtlich verfaßte Gesellschaft, also fast immer, zu der Fahndung nach dem Bösewicht, der schuld sein muß, daß von der angeblich doch verwirklichten Versöhnung der Menschheit keine Rede sein kann. Nehmen in seinen älteren Vorträgen einzig die USA die Rolle des Schurken ein, scheint sich Kühnl nun der Position der UN-Vollversammlung selbst anzunähern, die diese letztes Jahr in Durban formulierte: Israel ist an allem schuld.

Israel

Mit schlafwandlerischer Sicherheit findet Kühnl zum klassischen Feindbild der deutschen Ideologie zurück. Steuerhinterzieher und Faschisten entpuppen sich als Ersatzobjekte, die irgendwann langweilen, und es kommt der Augenblick, in dem nur noch diejenigen als Schurken interessant sind, denen in Deutschland traditionell diese Rolle zugeschoben wird: die Juden und die USA. Natürlich würde sich Kühnl niemals zum Antisemitismus bekennen - einige seiner besten Freunde sind Juden -, aber dafür gibt es ja den Antizionismus: statt die Juden direkt zu beschuldigen, erklärt man die einzige Verteidigungsmaßnahme gegen den überall grassierenden Antisemitismus, die ihnen nach der Katastrophe noch blieb, die Gründung des Staates Israel, für ein Verbrechen. So reiht sich Kühnl in die Front derjenigen ein, die es den Juden übelnehmen, daß sie nach Auschwitz immer noch den Frieden stören. Juden haben Opfer zu sein, andernfalls werden sie, wenn es nach den Antizionisten geht, dazu gemacht. Es bleibt zu hoffen, daß sich Kühnl und seine Freunde an dem "Problem Israel" die Zähne ausbeißen.

(nf)

(1) Reinhard Kühnl: Vortrag im Gewerkschaftshaus München, 23. 11. 2000.

(2) Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 160

(3) MEW 23, S. 189.

(4) MEW 1, S. 365.

(5) Thomas Hobbes: Leviathan, I, Kap. 13.

(6) Reinhard Kühnl: Zur geschichtlichen Entwicklung der Menschenrechte, Vortrag vom 19. 11. 98, trend 6/99.

(7) Ebd.

(8) Reinhard Kühnl: Freiheit - Gleichheit - Bildung. Vortrag in der Reihe "Missing Links" im WS 1998/99, Marburg

(9) Carl Schmitt: Fünf Leitsätze für die Rechtspraxis, Berlin 1933

(10) Zur geschichtlichen Entwicklung der Menschenrechte

(11) Informationen des Studienkreises Deutscher Widerstand, Nr. 54, November 2001.

(12) Kühnl: Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus - Faschismus, Reinbek 1971

(13) Kühnl: Die nationalsozialistische Linke 1925-1930, Marburg 1965, S. 59, S. 68-72. Kühnl bedauert, daß die Arbeiterbewegung sich scheute, dem Strasser-Flügel der NSDAP den Rücken zu stärken (S. 259). Sein Lehrer Abendroth hatte da keine Skrupel. Er trieb sich Ende der 20er Jahre in Faschistenkreisen herum. Marx teile, log Abendroth, keineswegs den "nationalen Nihilismus des kosmopolitischen Aufklärertums". Die Deutschen waren für ihn "seit dem Vertrage von Versailles ein unterdrücktes Volk" (siehe dazu Louis Dupeux: "Nationalbolschewismus" in Deutschland 1919-1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985, S. 285f). Abneigung gegen den völkischen Nationalismus der NSDAP scheint es nicht gewesen zu sein, was Abendroth veranlaßte, sich an politischen Aktionen gegen den NS-Staat zu beteiligen, für die er 1937 für vier Jahre ins Zuchthaus geworfen wurde und 1943 ins Strafbataillon 999 abkommandiert wurde. Noch nach dem Krieg wollte Abendroth den Nationalbolschewisten Ernst Niekisch in seine "Sozialistische Fördergemeinschaft" integrieren und machte sich für dessen Anerkennung als Widerstandskämpfer stark (http://www.dradio.de/cgi-bin/es/neu-lit-pol/570.html). Otto Strassers "Schwarze Front" hatte laut Abendroth ebenfalls "Widerstand" geleistet (Wolfgang Abendroth: Das Problem der Widerstandstätigkeit der "Schwarzen Front", in: VjhZG 8, 1960).

(14) Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, Art. 3, Zus. 1

(15) Kühnl: Vortrag vor dem Jenaer Forum, 28. 8. 99

(16) Ebd.


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