Die neue Volksfront
Ein deutscher Professor entdeckt "das Problem Israel"
Daß Israel "ein Problem" ist und Mörderbanden wie die Hamas
ein heiliges Recht haben, Juden umzubringen, ist unter
Islamisten und anderem braunem Pack Konsens. "Dieser
zionistische Fremdkörper im Herzen der Islamischen Welt darf
unter keinen Umständen bestehen bleiben", dekretieren die
islamischen Faschisten vom Magazin Explizit und fordern, alle
Verhandlungen einzustellen, weil "das Problem 'Israel' für uns
keine Grenzfrage, sondern eine Existenzfrage ist". Was wäre ein
Pogrom ohne ein juristisches Gutachten, aus dem hervorgeht, daß
es zur Vollstreckung ewiger und unverbrüchlicher Rechte
begangen wird? Explizit macht vor, wie es geht: "Der gesamte
Boden Palästinas ist seit seiner Eroberung unter dem Kalifen
Omar ibn Al-Khattab Eigentum der Islamischen Umma
[Gemeinschaft]". Wer den Staat Israel anerkennt, begehe "Verrat
an Allah, seinem Gesandten und den Gläubigen". Es könne auf den
Zionismus nur eine Antwort geben: den Jihad: "Allah der
Erhabene befiehlt: [...] 'Und tötet sie, wo immer ihr sie zu
fassen bekommt und vertreibt sie von wo sie euch vertrieben
haben!'" (Explizit, März-Juni 2002).
So weit wagen sich die deutschen Friedensfreunde bisher
nicht vor. Doch im Grundsatz ist man sich einig: "Das Problem
heißt Israel" (FAZ, 9. 12. 01). Gäbe es Israel nicht, herrsche
auf der Welt Frieden und Gerechtigkeit, raunt es aus allen
Ecken, und ohne daß sich irgendwer verabredet hätte oder sich
auch nur der Übereinstimmung bewußt wäre, formiert sich derzeit
eine Querfront, die von NPD über sämtliche politischen Parteien
bis hin zu PDS und DKP reicht und vom Mob der deutschen
GlobalisierungsgegnerInnen, Friedensbewegten und
NationalbolschewistInnen angeführt wird.
In dieser Situation entdeckt nun auch ein Marburger
Emeritus, der als Faschismustheoretiker bekannt ist und von
Gewerkschaftslinken gerne zu motivierenden Vorträgen eingeladen
wird, "das Problem Israel". So der Titel eines öffentlich
angekündigten Vortrages, den der vermeintliche Antifaschist
Reinhard Kühnl im Rahmen eines Seminars über Israel bei Maria
Sporrer hielt. Dieser Titel ist an sich schon eine
Unverschämtheit. Er verspricht einen Flirt des Antifaschisten
mit dem Antisemitismus, also gerade das, wonach sich das
deutsche Publikum die Finger leckt. Kühnl hielt, was er
versprach (Siehe S. 9/10).
Es ginge an der Sache vorbei, wollte man Kühnl Verrat an
seinen früheren Überzeugungen vorwerfen. Bei näherer
Betrachtung stellt sich nämlich heraus, daß sein Ideal eines
friedlichen, harmonischen Rechtszustandes, auf der auch seine
faschismustheoretischen Erörterungen basieren, ohne einen
Bösewicht, der für das Scheitern des Ideals verantwortlich sein
soll, nicht zu haben ist.
Reinhard Kühnl erkämpft das Menschenrecht
Schon seit Jahren propagiert Kühnl die allgemeine
Durchsetzung des Rechtszustandes, den er durch den in der
bürgerlichen Gesellschaft praktizierten Konkurrenzkampf, in dem
das Recht des Stärkeren herrscht, behindert sieht. Er glaubt,
auf Grundlage der Menschenrechte eine "politische und
moralische Alternative zum real existierenden Kapitalismus"
formulieren zu können: "Die allgemeinen Menschenrechte setzen
die Gleichheit der Rechte für alle Menschen voraus, und sind
eine Negation dieses anderen Prinzips: Naturgesetz ist, daß der
Stärkere sich durchsetzt, und der Schwächere auf der Strecke
bleibt." (1) Jede
Verrechtlichung der gesellschaftlichen Beziehungen betrachtet
Kühnl als Fortschritt hin zu einem Zustand, in dem die
Gewaltsamkeit der Beziehungen zwischen den Menschen
verschwunden und die Ideale der französischen Revolution
verwirklicht sein sollen. Diesen Zustand stellt sich Kühnl
einigermaßen paradiesisch vor. Deshalb setzt er ihn mit dem von
Marx und Engels angestrebten Verein freier Menschen gleich.
Die Bezugnahme auf Marx und Engels beruht auf einem
interessierten Mißverständnis. Denn gerade das, was Kühnl sagt,
ist schon von Marx vernichtend kritisiert worden. Denjenigen,
die wie Kühnl in Geld oder Kapital eine Verfälschung von
Freiheit und Gleichheit sahen, hielt Marx entgegen, "daß der
Tauschwert oder näher das Geldsystem in der Tat das System der
Gleichheit und Freiheit ist und daß, was ihnen in der näheren
Entwicklung des Systems störend entgegentritt, ihm immanente
Störungen sind, eben die Verwirklichung der Gleichheit und
Freiheit, die sich ausweisen als Ungleichheit und Unfreiheit"
(2). Freiheit, Gleichheit und
Eigentum, die in der déclaration des droits de l'homme et du
citoyen von 1789 festgeschrieben wurden, sind die juristischen
Formen, in denen sich das Kapitalverhältnis durchsetzt. Jede
Erniedrigung oder Kränkung, die die Individuen in der
bürgerlichen Gesellschaft erfahren, ist vermittelt durch die
Freiheit und Gleichheit, in der sie sich auf dem Markt
gegenübertreten. Die Sphäre der Warenzirkulation ist, wie Marx
spottete, "in der Tat ein wahres Eden der angebornen
Menschenrechte" (3). Daß
die unmittelbaren Produzenten nach getaner Arbeit genauso arm
sind wie zuvor, während der produzierte Reichtum beim
Unternehmer verbleibt, ist durchaus kein Unrecht, sondern im
Arbeitsvertrag, einem Kontrakt zwischen freien und gleichen
Rechtssubjekten, vorgesehen. Nicht nur bei der Ausbeutung geht
es im Kapitalismus ungeheuer legal zu. Was Kühnl für den
ultimativen Verstoß gegen die Menschenrechte hält, die
Konkurrenz, ist von der Konstitution des bürgerlichen
Rechtssubjekts gar nicht zu trennen. Die Menschenrechte
schaffen den Krieg aller gegen alle nicht ab, sondern stiften
ihn als allgemeine Konkurrenz der Privateigentümer immer wieder
neu. Das heiligste aller Menschenrechte, die Freiheit des
Privateigentums, "läßt jeden Menschen im andern Menschen nicht
die Verwirklichung, sondern vielmehr die Schranke seiner
Freiheit finden" (Marx) (4).
Oder, anders ausgedrückt, hier heißt es "Er oder ich" (Kühnl).
Weil der Krieg aller gegen alle nicht zu einem Gemetzel,
sondern zum nationalen Reichtum führen soll, unterwirft ihn der
Staat als "common Power to keep them all in awe" (Hobbes) (5) bestimmten Regeln: Morden
und Plündern ist verboten. Es bedarf einer über der
Gesellschaft stehenden institutionalisierten Zwangsgewalt, die
über die Einhaltung des prekären Friedens wacht. Nur wenn man
Polizeiknüppel, Gefängnis und finalen Rettungsschuß nicht als
Gewalt betrachtet, kann man behaupten, daß diese mit der
Durchsetzung der Menschenrechte verschwindet.
Obwohl auch Kühnl dazu neigt, den Mehrwert als Raub zu
betrachten, den sich die Kapitalisten durch ein quasi-feudales
Privileg und allerhand kriminelle Machenschaften
("Wirtschaftskriminalität") unter den Nagel reißen, geht es
noch nicht sofort los mit der Fahndung nach den Störern, die
die Menschenrechte in ihr Gegenteil verkehrt haben sollen. Ein
bißchen ist dann doch von der Marxschen Kritik der
Menschenrechte hängengeblieben. Kühnl kommt der Wahrheit
ziemlich nahe, wenn er feststellt, daß der Widerspruch zwischen
der bürgerlichen Klassenherrschaft und dem aufklärerischen
Pathos der Befreiung der Menscheit "schon in der Deklaration
der Menschenrechte angelegt" gewesen sei, und fragt: "Was
bedeutet 'Gleichheit'? Und wie ist deren Beziehung zur
'Freiheit' zu bestimmen?" Ganz kurz ist etwas von jenem
aufklärerischen Pathos zu spüren, das einmal die Kritik der
bürgerlichen Verhältnisse beseelte. Die Möglichkeit einer
befreiten Menschheit blitzt auf - und ist einen Augenblick
später schon wieder vergessen. Kühnl dementiert alles mit dem
unmittelbar folgenden Satz: "Konkret: Sollten auch die
Besitzlosen das Wahlrecht erhalten oder gar soziale Rechte?".
(6) Das ist für Kühnl der
Gipfel der Emanzipation: die Erweiterung der Menschenrechte um
"politische und soziale Rechte" für die Besitzlosen. Man
braucht nicht einmal am Lack zu kratzen, um seine schäbige
Utopie zum Vorschein zu bringen. Kühnl erweist sich als
würdiger Erbe des Kathedersozialismus, der
Zuckerbrot-und-Peitsche-Philosophie preußischer Pfaffen und
Professoren: Die Besitzlosen sollen besitzlos bleiben und zur
Belohnung für ihren Verzicht auf die Revolution der Segnungen
des sozialdemokratisch reformierten Volksstaates teilhaftig
werden.
Der ehrliche Nationalsozialismus
Die Menschenrechtserklärung von 1948, mit der Kühnl
triumphierend herumwedelt, verleiht jedem, der zu verhungern
droht, das Recht auf "Hilfsmittel". Wie eine Gesellschaft
aussieht, die solcher Rechte bedarf, liegt auf der Hand: Nur wo
der Normalzustand der ist, daß sich die Menschen nicht sicher
sein können, ob sie die nächsten Wochen überleben - und das
können sie nicht, weil sie bloß Anhängsel eines
selbst-referentiellen Prozesses (nämlich des
Verwertungsprozesses) sind, der sie mit steigender
Produktivität überflüssig macht - kommen sie auf solche Ideen.
Was das bringt, kann man in Afrika, Asien, Lateinamerika und
überhaupt fast überall sehen. Nur dort, wo die Nationalökonomie
profitabel genug ist und die Grenzen für Einwanderer dicht
sind, kann sich der Staat den Unterhalt nutzloser Esser
leisten. Die Ausnahme bestätigt die Regel: Was unter
"Hilfsmitteln" zu verstehen ist, liegt in der Willkür des
jeweiligen Staates, und in der Krise gibt die Nationalökonomie
eben nicht viel her. Die "sozialen Menschenrechte" können das
Elend nicht abschaffen. Statt dessen werden in ihnen die
Verhältnisse bejaht, die die Menschen in Almosenempfänger
verwandeln und sie auf Gedeih und Verderb an den Staat ketten.
Die Nationalökonomie, die die Menschen erst in ihre
lebensbedrohliche Lage bringt, verwandelt sich in eine
Einkommens- und Almosenquelle, die gehegt und gepflegt werden
will. Der Staat, der den üblen gesellschaftlichen Zustand durch
Polizeigewalt aufrechterhält, mutiert zum besten Freund des
kleinen Mannes, der ihm einen Schein zusteckt.
Die Versöhnung mit dem geläuterten Staat ermöglicht die
Demokratie, die Regierung mit Zustimmung der Regierten. Kühnl
berauscht sich an den Zauberwörtern "Volkssouveränität" und
"Selbstbestimmungsrecht der Völker". Der in den Menschenrechten
"angelegte" Widerspruch zwischen Freiheit und Zwang ist
verschwunden: Freiheit und Zwang fallen jetzt unmittelbar
zusammen. Alles ist gut. Nur seltsam, irgendwie will sich das
versprochene Paradies nicht so recht einstellen. Das ist Kühnl
natürlich nicht entgangen, und darum fällt ihm etwas ein:
Menschenrechte und Volkssouveränität seien eben noch nicht
genügend "verwirklicht". Wenn sie es wären, so Kühnl, lebten
wir im Sozialismus. Was auf den ersten Blick nach einer Kritik
der kapitalistischen Verhältnisse aussieht, läuft auf ihre
Bestätigung hinaus, denn Kühnl kann sich unter Sozialismus nur
die Verlängerung und Vollendung des Bestehenden, des sozialen
Volksstaates, vorstellen. Die Versöhnung mit dem Kapital, der
Fluchtpunkt aller sozialdemokratischen Bestrebungen, wäre
tatsächlich erst vollendet mit einer "demokratischen
Gestaltung" (Kühnl) (7) der
kapitalistischen Produktion. Wer ist bloß daran schuld, daß es
noch nicht so weit ist?
Der Widerspruch zwischen Freiheit und Zwang, der in
Wirklichkeit natürlich doch nicht verschwunden ist, taucht
wieder auf als empirischer Gegensatz: hier der Volkssouverän,
der nach der Verwirklichung der "Menschenrechte" =
"Sozialismus" = Sozialdemokratie strebt, dort eine Bande von
Schurken, die versucht, ihn daran zu hindern. Das Täterprofil
ist klar. Der Bösewicht ist Propagandist alles dessen, was der
"politischen und moralischen Alternative" entgegensteht - und
nun versteht man, was Kühnl mit "Konkurrenz" meint: der
egoistische Bürger, dem es an Gemeinsinn mangelt und der
einfach nicht einsehen will, daß der Staat, der ihn an die
Kandare nimmt, seinen Schrecken dadurch verliert, daß er neben
Peitschenhieben auch Zuckerbrot zu verteilen hat. Der an sich
gute Staat, der eine soziale Demokratie sein könnte, ist durch
böse Kapitalisten und ihre Freunde gekapert worden. Der
Inbegriff der Usurpation ist deshalb die Steuerhinterziehung,
mit der die Kapitalisten das Volk um das betrügen, was ihm
legal zusteht. Da gilt es allerlei Verschwörungen aufzudecken,
mit denen "der enorme und ständig wachsende gesellschaftliche
Reichtum gezielt in die Hände einer kleinen privaten Minderheit
geleitet wird" (8).
Kühnl beruft sich bei alledem auf die französische
Revolution. Hinter der jakobinischen Maske schaut aber bloß der
postfaschistische deutsche Souverän hervor. Wie sein Lehrer
Wolfgang Abendroth begeistert sich Kühnl für das Grundgesetz,
besonders für Artikel 14, der u. a. besagt, daß der Gebrauch
des Kapitaleigentums nicht nur dessen Vermehrung, sondern
"zugleich dem Wohle der Allgemeinheit" dienen müsse.
Robespierre, lehrt Kühnl, habe diese famose Einrichtung
erfunden. Doch erst der Nationalsozialismus brachte das Prinzip
"Gemeinnutz geht vor Eigennutz" so richtig zu Ehren. Er schuf
nicht nur die Autobahnen, auf denen die Bundesbürger später mit
ihren KdF-Autos herumfuhren, sondern auch ein Element der
Verfassung, auf das die Mütter und Väter des Grundgesetzes
besonders stolz sind: Die berühmte "Wertordnung" ("FDGO"), die
dem geschriebenen Gesetz vorgeordnet ist, der Erkenntnis
entzogen bleibt und deshalb von einem Gremium ausgelegt werden
muß, das keinen Widerspruch duldet, dem
Bundesverfassungsgericht. Sie hieß natürlich zu NS-Zeiten ein
wenig anders, nämlich "Grundsätze des Nationalsozialismus" (9) . Die Maximen der
faschistischen Solidargemeinschaft von Kapital und Arbeit
finden sich, demokratisch aufgemöbelt, in der "FDGO" wieder.
Spätestens seit dem KPD-Verbotsurteil ist bekannt, daß Parteien
nach Art. 18 dazu verpflichtet sind, für den "Ausgleich der
'Klassengegensätze'" (BverfGE 5,85) zu sorgen. Es ist nur
folgerichtig, wenn im Grundgesetz festgeschrieben wird, das
Kapital müsse, wie die entsprechende Wendung im NS-Jargon
lautet, schaffendes statt raffendes Kapital sein.
Daß die Formel von der "Sozialbindung des Eigentums" nur
eine neue Version der NS-Parole "Gemeinnutz vor Eigennutz" ist,
hindert Kühnl nicht daran, sich stolz auf sie zu berufen.
Gerade diese Norm, halluziniert er, sei ein Schritt hin zum
Sozialismus; sie müsse nur erst "realisiert" werden (10). Schon jetzt sei die
Sozialstaatlichkeit "eine Barriere gegen die Wirkungsmacht
faschistischer Ideologien" (11).
Demokratisiert und in Sozialpartnerschaft umbenannt, wird
die Volksgemeinschaft für Kühnl annehmbar, ja ein Ausweis
antifaschistischer Läuterung. Entsprechend sieht dann auch die
Faschismuskritik aus: Der Nationalsozialismus erscheint weniger
als Massenverbrechen denn als Verschwörung, pardon: Bündnis,
geschmiedet gegen den Volkssouverän. Hitler ist als Prophet des
Konkurrenzkampfes, der mit den egoistischen Bürgern, den alten
Feinden des Sozialstaats, unter einer Decke steckte, für Kühnl
Prototyp des liberalistischen Schurken. Kühnl wirft ihm allen
Ernstes vor, die Deutschen um die Volksgemeinschaft betrogen zu
haben: "Volksgemeinschaft wird als bereits bestehend, mit der
Existenz des Volkes von Natur [!] aus gegeben dargestellt, so
daß die bestehende Herrschaft als gerechtfertigt erscheint und
eben diejenigen, die die Klassenherrschaft überwinden und die
wirkliche Volksgemeinschaft damit erst herstellen wollen, als
Unruhestifter und Volksfeinde diffamiert werden können." (12) Hitler war also ein
Betrüger. Doch gab es da nicht auch "subjektiv ehrliche"
Nationalsozialisten, die das richtige wollten? Wer sucht, der
findet. Der Strasser-Flügel der NSDAP habe, so Kühnl, "die
theoretische Basis des Marxismus übernommen" und sich gegen
"die Reduzierung des nationalen Sozialismus auf den
Antisemitismus" gewandt, ja eine "eindeutig klassenkämpferische
Linie" vertreten (13).
Eben deshalb sei er 1934 von dem heuchlerischen, mit dem
Monopolkapital verbandelten Hitler ausgeschaltet worden. Man
begreift, warum Kühnl bei jeder Gelegenheit betont, eine
Ideologie müsse Momente der Wahrheit enthalten, um Anhänger zu
finden.
Volksgemeinschaft heißt jetzt Völkergemeinschaft
Jeder
Staat kann gegen jeden anderen seinen Anspruch auf Souveränität
geltend machen. Er selbst definiert, bis wohin sein
Gewaltmonopol reicht, und wenn ihm ein anderer Staat in die
Quere kommt, führt er Krieg oder gibt jedenfalls zu verstehen,
daß er es könnte. Der Kriegszustand reproduziert sich im
Verhältnis der Staaten untereinander. Zwischen ihnen gilt das
Recht des Stärkeren. Wäre es anders, hielten sich die Staaten
keine Armeen, und Verteidigungsministerien wären unbekannt.
Peinlich für die Fans des angeblich gewaltfreien Rechtsstaats.
Doch Kühnl gibt sein Ideal so schnell nicht auf.
Deshalb nimmt er Zuflucht zu einem alten Projekt: der
Stiftung von Frieden durch das Völkerrecht, das durch eine
überstaatliche Instanz, den Völkerbund, garantiert werden soll.
Daß es sich um eine Illusion handelt, hat noch der
Hobbes-Schüler Kant halb durchschaut, indem er zugab, daß die
Idee des Völkerrechts "die Absonderung vieler von einander
unabhängiger benachbarter Staaten" voraussetzt, also einen
Zustand, der "an sich schon ein Zustand des Krieges ist" (14). Kühnl ist dann auch
bescheiden und verlangt lediglich die Bindung von
zwischenstaatlicher Gewalt an Recht, also nicht die Abschaffung
des Krieges, sondern bloß seine Regelung. Da er aber unfähig
ist zuzugeben, daß die von ihm idealisierte UNO grundsätzlich
nicht imstande ist, einen Zustand ohne Kriege zu stiften,
schiebt er die Schuld daran den USA zu: sie sabotierten das
Völkerrecht, indem sie das "Recht des Stärkeren", das
"Rambo-Prinzip" kultivierten und eine "Demokratisierung der
UNO" verhinderten (15).
Soll heißen, die USA beharren auf ihrer Souveränität, die die
UNO-Vollversammlung ihnen streitig machen will, und widersetzen
sich einer Schwächung des Sicherheitsrats, in dem bekanntlich
Deutschland keinen festen Sitz hat, dafür aber die Siegermächte
des zweiten Weltkriegs. Das Muster "Konkurrenz vs. Demokratie"
wiederholt sich, nur daß die Volksgemeinschaft diesmal
Völkergemeinschaft heißt. Strasser läßt grüßen: Schon 1926
stand bei der "nationalsozialistischen Linken" (Kühnl) ein
"Bund der unterdrückten Völker" auf dem Programm, ein
Völkerbund ganz ohne die Imperialisten von der Entente. Eine
UNO, wie sie Kühnl vorschwebt, würde sich von den USA nur
dadurch unterscheiden, daß in ihr deutsche Hilfsvölker das
Sagen hätten, die statt des liberalen Kapitalismus den
Volksstaat zum Ideal erhoben haben; ansonsten würde sie genau
das tun, was Kühnl den USA vorwirft: "Der Krieg fungiert hier
als Bestrafung für eine als Unrecht definierte Handlung des
Anderen" (16).
Die Idealisierung der Rechtsverhältnisse führt, wenn sie
begleitet ist von Ressentiments gegen die rechtlich verfaßte
Gesellschaft, also fast immer, zu der Fahndung nach dem
Bösewicht, der schuld sein muß, daß von der angeblich doch
verwirklichten Versöhnung der Menschheit keine Rede sein kann.
Nehmen in seinen älteren Vorträgen einzig die USA die Rolle des
Schurken ein, scheint sich Kühnl nun der Position der
UN-Vollversammlung selbst anzunähern, die diese letztes Jahr in
Durban formulierte: Israel ist an allem schuld.
Israel
Mit schlafwandlerischer Sicherheit findet Kühnl zum
klassischen Feindbild der deutschen Ideologie zurück.
Steuerhinterzieher und Faschisten entpuppen sich als
Ersatzobjekte, die irgendwann langweilen, und es kommt der
Augenblick, in dem nur noch diejenigen als Schurken interessant
sind, denen in Deutschland traditionell diese Rolle zugeschoben
wird: die Juden und die USA. Natürlich würde sich Kühnl niemals
zum Antisemitismus bekennen - einige seiner besten Freunde sind
Juden -, aber dafür gibt es ja den Antizionismus: statt die
Juden direkt zu beschuldigen, erklärt man die einzige
Verteidigungsmaßnahme gegen den überall grassierenden
Antisemitismus, die ihnen nach der Katastrophe noch blieb, die
Gründung des Staates Israel, für ein Verbrechen. So reiht sich
Kühnl in die Front derjenigen ein, die es den Juden übelnehmen,
daß sie nach Auschwitz immer noch den Frieden stören. Juden
haben Opfer zu sein, andernfalls werden sie, wenn es nach den
Antizionisten geht, dazu gemacht. Es bleibt zu hoffen, daß sich
Kühnl und seine Freunde an dem "Problem Israel" die Zähne
ausbeißen.
(nf)
(1) Reinhard Kühnl: Vortrag
im Gewerkschaftshaus München, 23. 11. 2000.
(2) Karl Marx: Grundrisse
der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 160
(3) MEW 23, S. 189.
(4) MEW 1, S. 365.
(5) Thomas Hobbes:
Leviathan, I, Kap. 13.
(6) Reinhard Kühnl: Zur
geschichtlichen Entwicklung der Menschenrechte, Vortrag vom
19. 11. 98, trend 6/99.
(7) Ebd.
(8) Reinhard Kühnl: Freiheit
- Gleichheit - Bildung. Vortrag in der Reihe "Missing
Links" im WS 1998/99, Marburg
(9) Carl Schmitt: Fünf
Leitsätze für die Rechtspraxis, Berlin 1933
(10) Zur
geschichtlichen Entwicklung der Menschenrechte
(11)
Informationen des Studienkreises Deutscher Widerstand, Nr. 54,
November 2001.
(12) Kühnl: Formen
bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus - Faschismus, Reinbek
1971
(13) Kühnl: Die nationalsozialistische Linke
1925-1930, Marburg 1965, S. 59, S. 68-72. Kühnl bedauert, daß
die Arbeiterbewegung sich scheute, dem Strasser-Flügel der
NSDAP den Rücken zu stärken (S. 259). Sein Lehrer Abendroth
hatte da keine Skrupel. Er trieb sich Ende der 20er Jahre in
Faschistenkreisen herum. Marx teile, log Abendroth, keineswegs
den "nationalen Nihilismus des kosmopolitischen Aufklärertums".
Die Deutschen waren für ihn "seit dem Vertrage von Versailles
ein unterdrücktes Volk" (siehe dazu Louis Dupeux:
"Nationalbolschewismus" in Deutschland 1919-1933.
Kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München
1985, S. 285f). Abneigung gegen den völkischen Nationalismus
der NSDAP scheint es nicht gewesen zu sein, was Abendroth
veranlaßte, sich an politischen Aktionen gegen den NS-Staat zu
beteiligen, für die er 1937 für vier Jahre ins Zuchthaus
geworfen wurde und 1943 ins Strafbataillon 999 abkommandiert
wurde. Noch nach dem Krieg wollte Abendroth den
Nationalbolschewisten Ernst Niekisch in seine "Sozialistische
Fördergemeinschaft" integrieren und machte sich für dessen
Anerkennung als Widerstandskämpfer stark (http://www.dradio.de/cgi-bin/es/neu-lit-pol/570.html).
Otto Strassers "Schwarze Front" hatte laut Abendroth ebenfalls
"Widerstand" geleistet (Wolfgang Abendroth: Das Problem der
Widerstandstätigkeit der "Schwarzen Front", in: VjhZG 8,
1960).
(14) Immanuel Kant: Zum
ewigen Frieden, Art. 3, Zus. 1
(15) Kühnl: Vortrag
vor dem Jenaer Forum, 28. 8. 99
(16) Ebd.
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