Pünktchen und Anton machen Politik
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß viele der im
Gesamtverband "Marburger Linke" zusammengeschlossenen
Nachwuchspolitiker bei allem Abscheu, den sie vor dem
Kosmopolitbüro immer wieder äußern, innerlich doch sehr froh
sind, daß es jemanden gibt, der ihr zugegebenermaßen tristes
Leben etwas bunter macht. Waren wir letztes Jahr schon sehr
erstaunt, welchen Aufruhr eine kleine Schrift provozierte, die
Reinhard Kühnl in seiner Berufskleidung zeigt und in der Leute,
die die Ermordung von Juden rechtfertigen, Antisemiten genannt
werden, so überrascht uns nun noch mehr, daß sich inzwischen
viele buchstäblich darum bewerben, von uns abgewatscht zu
werden. Dies geschieht zum Teil in höflicher Form, wie zum
Beispiel im Falle der Zeitschrift Sputnik ["Übrigens: Aus
Versehen hat uns das kosmopolitbüro nach unserer letzten
Ausgabe keine Beleidigung geschickt. Wir bitten dies
nachzuholen."]; doch gibt es auch Leute mit sehr schlechten
Manieren, verbunden im Verein "d.i.s.s.i.d.e.n.t.". Trotzdem
ist es uns eine keine geringe Freude, folgenden lustigen Text
dieser Gruppe zu veröffentlichen.
Per Akklamation sollte das Kosmopolitbüro aus der Gemeinde
der Linken - bestehend aus linken Professoren, linken
Bewegungen, linken Alternativen, linken Kulturinitiativen,
linken Gruppen, linken Institutionen, linken Einzelpersonen und
allen anderen - exkommuniziert werden.
Die Angesprochenen konnten sich aber nicht dazu durchringen,
ihre fortschrittlichen Namen unter den Text zusetzen: Lag es an
dem von der Gruppe "d.i.s.s.i.d.e.n.t." begangenen taktischen
Fehler, die potenziellen Unterschriftsteller im Text als
"feige" zu bezeichen? Vielleicht. Manchen war das aber auch
alles zu blöd, während es anderen wiederum nicht blöd genug
war. Es gab wohl auch welche, denen exakt jene Dosis von
Blödheit genau richtig erschien. Aber das half nichts, das
Ausschlußverfahren scheiterte. Um den Text aber wäre es schade.
Nun liegt es beim Kosmopolitbüro, dem Anliegen der Gruppe
"d.i.s.s.i.d.e.n.t." doch noch Gehör zu verschaffen und den
s.c.h.e.i.s.s. selbst zu veröffentlichen.
In den letzten Wochen tauchten wieder Flugblätter des
Marburger Kosmopolitbüros (aka "das Früchtchen") auf, in
denen dieses abermals vermeintliche linke AntisemitInnen
angeprangert hat. Für Menschen, die noch anderes zu tun haben
als sich über die Hintergründe dieses Konflikts zu
informieren, entsteht schon seit längerem der Eindruck,
Marburger Linke hätten nichts besseres zu tun als sich selbst
zu zerfleischen. Dennoch liegt hiermit ein entschiedener
Widerspruch gegen die Positionen des Kosmopolitbüros vor,
denn die Vorwürfe gegen linke Einrichtungen, Gruppen und
verschiedene linke Lehrende an der Universität Marburg,
dürfen nicht mehr unkommentiert hingenommen werden. Viel zu
lange wurde geglaubt, dass die Äußerungen einer marginalen
Gruppe unbeachtet bleiben sollten, und sich über ihre
Flugblätter lustig gemacht. Zeit und Energie auf eine
Erwiderung zu verwenden, wurde als Verschwendung angesehen,
da man sich in der eigenen Ablehnung solcher Positionen
breiter Zustimmung sicher schien, es sinnvollere GegnerInnen
gab als andere "Linke" und man glaubte, dass sie ihre
Veröffentlichungen irgendwann einstellen würden. Sicherlich
wollte man außerdem den Eindruck der linken
Selbstzerfleischung vermeiden. Von Außen schien es aber so,
als ob viele zu feige wären, sich öffentlich den Positionen
des Kosmopolitbüros entgegenzustellen.
Doch das allgemeine Nichtstun hat ihrer Kampagne weder
geschadet, noch sie verschwinden lassen. Stattdessen wurde
aus Bequemlichkeit in Kauf genommen, dass Genossen wie Frank
Deppe, Georg Fülberth und Reinhard Kühnl, die für weite Teile
der Linken in ihrer politischen Sozialisation prägend waren,
in Marburg und bundesweit diffamiert wurden. Ein wenig
schizophren werden ihre Vorwürfe dann auch noch, wenn linke
Institutionen kritisiert werden, in denen sie selber
verkehren oder verkehrt haben. Die Form und der Stil der
Flugblätter des Kosmopolitbüros verlassen den Rahmen einer
legitimen innerlinken Kritik, deren Notwendigkeit niemand
bestreiten würde, sondern zielen darauf, die in ihm genannten
Personen bloßzustellen. Einzelne Positionen der Kritisierten,
die man ja nicht unbedingt teilen muss, werden so zugespitzt,
wie diese sie nicht vertreten würden und dann mit denen von
Nazis, Islamisten und anderen reaktionären und
bekämpfenswerten Gruppen gleichgesetzt.
Dies konstruiert ein Bild der Betroffenen als jedweder
fortschrittlichen Idee entgegengesetzt. So kann man in ihrem
Flugblatt "Nazis raus aus der Volksgemeinschaft" erklärt
bekommen, dass außer dem Kosmopolitbüro (und vielleicht
einigen von ihnen handverlesenen Gruppen und Individuen) alle
dort genannten Gruppen AnhängerInnen einer
Gemeinschaftsideologie seien (vgl. www.kosmopolitbureau.unwissenschaftlich.de/nazis_raus_aus_der_volksgemeinschaft.html).
Es interessiert das Kosmopolitbüro in seiner Politik
anscheinend nicht mehr, mit denen, die sie kritisieren,
Argumente auszutauschen, sondern das Ziel ist es die andere
Position für Personen mit linker Perspektive schlichtweg
indiskutabel erscheinen zu lassen. Daher werden die
diffamierten und beleidigten Personen mit Vorliebe mit der
Gruppe gleichgesetzt, bei der linke Diskussionsbereitschaft
aufhört: mit Nazis. Das Kosmopolitbüro bedient sich daher
einer scheinbar linken Version einer in der Neuen Mitte und
konservativen Kreisen beliebten These, nach der Links und
Rechts vielerlei Gemeinsamkeiten zugeschrieben werden und
diese letztendlich zwei Seiten einer Medaille seien. Der
einzige Zweck ihrer Aktivität scheint zu sein andere linke
Positionen zu verdrängen und ihre eigene, ach so radikale
Identität, zu bestätigen. Rechte dürften sich jedenfalls die
Hände reiben, bekämpft das Kosmopolitbüro doch in der Regel
die selben Gruppen wie sie auch, ob es nun linke Professoren
an der Uni, die Bewegung gegen den Marktfrühschoppen, linke
Uni-Gruppen, linke Kollektive, Initiativen wie die zur
ZwangsarbeiterInnenentschädigung auf lokaler Ebene* oder alternative Kulturinitiativen sind (mehr
Beispiele unter www.kosmopolitbureau.unwissenschaftlich.de).
Auch wenn wir unterschiedliche Kritikpunkte an den
Inhalten des Kosmopolitbüros haben, lehnen wir dessen Art und
Weise Linke zu diffamieren ab und wollen klar stellen: Das
hat unser Meinung nach nichts mit emanzipatorischer Politik
zu tun!
Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t.
* Das ist die einzige Stelle im Text, die nicht lustig
ist: Das Kosmopolitbüro hat keine Initiativen "zur
ZwangsarbeiterInnenentschädigung" bekämpft. Die Gruppe
"d.i.s.s.i.d.e.n.t." bezieht sich wohl auf eine Kritik an der
Marburger Geschichtswerkstatt, welche jedoch nicht das
Kosmopolitbüro, sondern das Marburger Bündnis gegen IG Farben
formuliert hatte. Jene Initiative "zur
ZwangsarbeiterInnenentschädigung" wurde vor Jahren vom Bündnis
gegen IG Farben dafür kritisiert, daß sie die Stadt Marburg
nicht dazu aufgefordert hatte, ehemalige ZwangsarbeiterInnen
direkt zu entschädigen. Außerdem hatte das Bündnis gegen IG
Farben ein Flugblatt gegen eine Veranstaltung des
"Arbeitskreises Erinnerungskultur in der Marburger
Geschichtswerkstatt" mit einem Vertreter der deutschen Agentur
für Erinnerungs- und Entschädigungsabwehr, der Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", geschrieben. In einem
lag die Gruppe "d.i.s.s.i.d.e.n.t." gar nicht so falsch: Diese
Kritik teilt das Kosmopolitbüro selbstverständlich.
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