Der Fall Richter
Horst-Eberhard Richter ist eine der Ikonen der deutschen
Friedensbewegung. Gar nicht zu Unrecht wird er von
Bundespräsident Johannes Rau als "Analytiker und Therapeut
des ganzen Landes" bezeichnet: Aus seinen eigenen
Erfahrungen im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion lernte
er, daß im Krieg alle Menschen leiden:
"Ich lernte allmählich, daß der Krieg nicht nur Menschen
tötet,(...), sondern daß er auch die Kämpfer, die in ihm
überleben, selbst wenn sie nicht in besondere Verbrechen
verwickelt werden, psychisch 'beschädigt'" (Richter: Wer nicht
leiden will, muß hassen, 1993)
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Die Folgerung aus dieser Selbstbemitleidung eines deutschen
Soldaten war für Horst-Eberhard Richter die Friedensbewegung,
wie sie deutscher nicht hätte sein können: Ihr Hauptfeind war
nicht Deutschland in seiner nationalsozialistischen
Kontinuität, sondern die USA, denen man nicht verzeihen konnte,
nicht pazifistisch gewesen zu sein; alle Kriege wurden den USA
übelgenommen, vor allem der gegen das nationalsozialistische
Deutschland.
Wie in Deutschland üblich, meint auch Richter, die
Bombardements der Alliierten mit denen der Deutschen
gleichsetzen zu müssen:
"Dafür schlugen die Briten und Amerikaner mit den gleichen
Mitteln zurück. Und 1943 widerfuhr Hamburg, was Coventry zuvor
erlitten hatte." (Wer nicht leiden will, muß hassen, 1993, S.
63
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Wichtig ist für Richter, daß beide Seiten Bomben warfen; von
dem alles entscheindenden politischen Unterschied zwischen den
Kriegführenden will er nichts wissen.
Den Amerikanern nimmt er übel, den Deutschen mit ihrer
modernen Kriegführung den Endsieg versaut zu haben. Richters
pazifistischer Schluß:
"Aber genau dieser innere Prozeß führte mich und viele
meiner Freunde zu einer anderen Einsicht, nämlich daß die
Mittel eines modernen Krieges an sich zutiefst dem Prinzip der
Humanität widersprechen (...) Mit den Flächenbombardements, den
Fernraketen und den Atombomben hatte der Krieg aufgehört, ein
begrenzter Kampf zwischen Armeen zu sein: er hatte sich in ein
menschenfeindliches Ausrottungssystem verwandelt. Nie wieder
würden sich militärische Bedienungsmannschaften der modernen
Vernichtungswaffen als ehrenhafte, gar heroische Verteidiger
patriotischer oder sonstiger hoher Werte präsentieren können."
(Wer nicht leiden will, muß hassen, 1993, Seite 65-66)
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Also nicht die Deutschen haben den Krieg in ein
Ausrottungssystem verwandelt, sondern die Anti-Hitler-Koalition
hat dies getan; der Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht
läßt sich nach Richter noch als "ehrenhafte, gar heroische
Verteidigung patriotischer Werte" fassen. Richters
Gegenüberstellung eines ehrenhaften Krieges, in dem Mann gegen
Mann kämpft, in dem es an Helden nicht fehlen darf, und eines
feigen, menschenfeindlichen Kriegs der Maschinen setzt sich bis
in die jüngste Friedensbewegung fort, wo sie vor allem auf
Israel angewandt wird: hier die heroischen Kämpfer, die
"nichts als ihren Körper" (Kühnl) haben, dort die
automatisierte Kriegsmaschine, zu der die israelische Armee
umgelogen wird.
Für die Zeit nach 1945 attestiert Richter:
"Statt dessen sog auch diese Generation der Westdeutschen
begierig auf, was ihr Amerika an politischen und
wirtschaftlichen Rezepten, an Verhaltensmuster und Moden
lieferte: Gestern noch Hitler bis zum grausigen Ende folgsam,
präsentierten sie sich bald darauf als geistige
Halb-Amerikaner, die verständnislos auf ihr Gestern
zurückblickten, als seien sie dies gar nicht selbst gewesen."
(Richter: Wer nicht leiden will, muß hassen, 1993, S. 49)
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Aber so begierig haben die Deutschen die "amerikanischen
Rezepte" nun auch wieder nicht aufgenommen: im Gegenteil,
der Antiamerikanismus, wichtiger Bestandteil des
Nationalsozialismus, lebte in den Köpfen der Deutschen weiter;
waren es doch unter anderem die USA, die dem Nazi- Terror ein
Ende bereiteten. (1)
"Halb-Amerikaner" (!) wollte man gewiß nicht sein,
amerikanisch wurde schon vor 1945 als "undeutsch",
modern, zivilisiert und am Glück der Individuen ausgerichtet
erkannt und abgelehnt, wo man doch in Deutschland alles auf die
Gemeinschaft setzte, für welches das Individuum sich
aufzuopfern habe.
Der Haß auf die USA ist ein Kontinuum der
nationalsozialistischen Ideologie: Der Antisemitismus schrieb
Juden die Macht zu, sowohl für den Kommunismus verantwortlich
zu sein (wie es kürzlich auch Hohmann tat), als auch in den USA
den sog. Mammon zu regieren; es ist dies die imaginäre Trennung
von "raffendem und schaffendem Kapital", wobei das
amerikanische, also das raffende, das gute, deutsche, mit Mühe
und Schweiß entstehende schaffende Kapital zerstöre.
Dieser Antiamerikanismus ist ohne den Haß auf Israel gar
nicht zu denken: den USA wird ihre Unterstützung Israels
übelgenommen, Israel und die USA werden in diesem Denken zu
einem.
Gerade auch in jüngster Zeit wird Israel immer wieder dafür
angegriffen, wenn es sich gegen palästinensische
Selbstmordattentäter wehrt. Nach einer aktuellen Umfrage der EU
sind 65 Prozent der Deutschen der Meinung, Israel sei das Land,
welches am meisten von allen den Frieden gefährde. In der
Friedensbewegung ruft man gerade den 9. November (!) zum
internationalen Protesttag gegen den israelischen
Sicherheitszaun aus. Dieser Zaun wird gebaut, um die
palästinensischen Mörder von ihrem Tun abzuhalten; die
internationale Friedenbewegung möchte den antisemitischen
Banden den freien Zugang zu ihren Opfern lassen. Arafat nennt
den Zaun in seinem Wahn "rassistische Nazimauer". Auch
in Deutschland wird er oft "Mauer" genannt, weil dies so
herrlich daran erinnert, wie die Deutschen einst wieder zu sich
selber fanden.
Bis heute sind Antisemitismus und Antiamerikanismus das
einigende Band in Deutschland, die Friedensbewegung zieht
daraus einen Großteil ihrer Faszination, die Oma auf dem Lande
ist ebenso Amerikahasserin wie ihr rebellierender Enkel in der
Stadt.
Auch das Individuum ist Richter ein Dorn im Auge. Er fordert
in seinem neusten Buch "das Ende der Egomanie" und
meint, das alle "aneinander gebunden" seien. Was er
damit meint, wird deutlich, wenn er an die Israelis, die in
ständiger Furcht vor den palästinensischen Massenmördern leben
müssen, appelliert, sie müßten sich in den Leiden der
Palästinenser wiedererkennen; an die Palästinenser, die Juden
töten um Juden zu töten, richtet er dieselbe Bitte. Es gibt
nach Richter eben ein gemeinsames Leiden, also keine
mörderischen Antisemiten, die sich nichts anderes wünschen,
Israel möge von der Landkarte verschwinden und seine Einwohner
dem Pogrom freigegeben werden.
Fortschrittliches Denken, Aufklärung, eine Perspektive, die
dem Einzelnen Glück verspricht, das alles ist für
Horst-Eberhard Richter pure Verrücktheit:
"Es ist eine Form von Irrsinn, wenn der sterbliche,
zerbrechliche Mensch (...) in seinem Streben nach
Selbstvergöttlichung das Leiden aus seinem Leben verbannen
will" (Das Ende der Egomanie, Vortrag in Salzburg, 12.9.02)
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Das Leiden aus dem Leben der Menschen zu verbannen war
einmal die Idee der Aufklärung und des Kommunismus. Heute heißt
es bei Richter und unisono bei seiner Lieblingsbewegung attac:
'Laßt die Menschen doch in ihrem Elend verrecken.'
Der 11. September 2001 ist für Richter ein Lehrbeispiel
dafür, daß es einfach keinen Weg zu immer mehr Freiheit und
Unabhängigkeit geben kann. Richtig erkennt er die mörderischen
Attentate als Fanal der Gegenaufklärung. Sie sind Resultat
eines Denkens, in dem das Kapital kein gesellschaftliches
Verhältnis ist, sondern personifiziert wird und im World Trade
Center hockt; ein Denken, das nicht Fortschritt und ein gutes
Leben für alle will, sondern das islamische Elend auf der
ganzen Welt verbreiten will, ein Denken, in dem es für Juden
keinen Platz gibt.
Es scheint, als sei Richter in Bezug auf die Attentate am
11. September ein wenig schadenfroh, in der Ankündigung zur
Veranstaltung in Marburg heißt es jedenfalls, dieser Tag
symbolisiere "einen Rest Ohnmacht der Mächtigsten und einen
Rest Macht der Ohnmächtigen" - endlich habe die
Selbstvergötterung der Menschen ein Ende gefunden. Daß auch die
USA "verletzbar" seien, war der Triumph der deutschen
Amerikahasser in jenem Herbst vor zwei Jahren.
kosmopolitbüro
(1) verwiesen sei hier
auf die Studie "Schuld und Abwehr", hrsg. von Theodor W. Adorno
und Walter Dirks, Europäische Verlagsanstalt 1955
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