Früchtchen des Zorns
Jürgen Möllemann hat getan, was Wellness-Berater
immer empfehlen: einfach mal fallen lassen. Nach seiner
Bauchlandung fragen sich Antisemiten aller Couleur, wer nun die
entstandene Lücke füllen soll. Aus Marburg kommen einige
Bewerbungen. Da gibt es Franz Becker, den Metzger von
Weidenhausen, der sagt, "die Juden" hätten "von Hitler viel
gelernt" und würden nun einen Holocaust an den Palästinensern
verüben. Da ist der Professor Reinhard Kühnl (seine Freunde
nennen ihn "Intifada-Kühnl"), der am 8. November 2002 in seiner
Rede gegen das "Problem Israel" zu dem Ergebnis kam, die
Bomben-Anschläge auf Busse und Pizzerien seien "marginal" und
außerdem legitim ("Die jungen Palästinenser sagen: ,Wir haben
ja nur unsere Körper'", romantisierte und rechtfertigte Kühnl
die an Juden verübten Massaker; ein Gedicht von Erich Fried
vorzulesen, in dem Juden in die Nähe der Nazis gerückt werden -
"Nun seid ihr geworden wie sie"-, ist sowieso bei allen
anti-israelischen Veranstaltungen obligatorisch.)
Und da gibt es den Teilnehmer des Seminars "Israel - Staat
und Gesellschaft", der sich nach Kühnls Rede ermuntert fühlte
zu sagen, die Juden seien "Kindermörder" und "die Judenfrage"
dürfe "nicht zu Lasten der Araber gelöst" werden. Wie er sich
die "Lösung der Judenfrage" denn vorstelle, das braucht man da
nicht mehr zu fragen.
So geht es zu in Marburg. Doch nun passiert etwas. Dies
irae am Institut für Politikwissenschaft:
"In einer öffentlich verbreiteten Broschüre einer Gruppe
wurden Lehrpersonen des Instituts mit absurden Vorwürfen des
Antisemitismus überzogen, persönlich verhöhnt und mit
Psychoterror bedroht. Das Direktorium des Instituts für
Politikwissenschaft weist dieses infame Vorgehen in voller
Solidarität mit den Betroffenen zurück und wird diese
Verleumdung mit allen geeigneten Mitteln bekämpfen.
Beschluss des Direktoriums 4.6.03, gez. Theo Schiller."
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Judex ergo cum sedebit, quidquid latet apparebit, nil
inultum remanebit.
Eine große Koalition hat sich zusammengefunden, um gegen die
Unruhestifter, "die gegen Linke hetzen" und "alle
erfolgreicheren linken Projekte des letzten Jahres"
runtermachen, vorzugehen.
Außer den aufgebrachten Direktoren gehören dazu: Zapatisten
vom Indymedia-Stammtisch, der Professor Georg Fülberth, der
Hausbesitzerverein Wannkopfstraße und Studenten, die es nicht
fassen wollen, daß die Fachschaft Roter Faden (Theologie) einen
vom Kosmopolitbüro organisierten Vortrag zum Thema Suicide
Bombing - Formen des Antisemitismus unterstützt hat
- mithin "eine Nazi-Veranstaltung in der alten Uni, gefördert
von der Fachschaft Theologie" (Internet-Gästebuch Roter Faden).
Zwei Dinge über uns sind allen unseren Gegnern klar: daß wir
"Antideutsche" seien und "Nazis", also eben antideutsche Nazis,
von denen es ja in Deutschland sehr viele gibt.
Maria Sporrer wirft dem Kosmopolitbüro Antisemitismus vor,
weil in der Broschüre Intifada an der Uni steht, der von
Kühnl in der Veranstaltung am 8.11. geradezu als
Bauchrednerpuppe benutzte Walter Grab (dessen jüdische Herkunft
Kühnl besonders betonte) sei Kühnls "Vorzeige-Jude". Ein
Teilnehmer einer unserer Veranstaltungen machte uns darauf
aufmerksam, daß wir hier tatsächlich ein falsches Wort
gebraucht haben: Alibi-Jude sei der richtige Begriff.
Was das heißt? Das heißt, daß es auf der Welt wohl keinen
Antisemiten gibt, der nicht "einige Juden" zu seinen "besten
Freunden" zählt oder, wenn es gegen Israel geht, die Namen von
Juden nennen kann (es sind immer dieselben), die "genauso
denken". Jörg Haider hat einen "jüdischen Freund", Dr. Freys
"National-Zeitung" interviewt vorzugsweise Juden.
Georg Fülberth, der uns vorwirft, alle, die ein "wurstiges
Verhältnis" "zu ihrem deutschen Paß" haben, für Nazis zu
halten, kann nicht umhin, an einer Stelle zu sagen: "Das
machten 1932/33 die Nazis."
Die Tendenz ist immer dieselbe, doch Form und Sprache weisen
auf ihre jeweiligen Urheber: "Indymedia"-Leser sind spontan
empört, ihre Wut kommt aus dem Bauch (oder jedenfalls ungefähr
aus dieser Körpergegend), während Georg Fülberth ironisch
schreibt, wenn auch freilich nur auf eine südhessische Art und
Weise ironisch.
Auf der Internet-Seite "Indymedia" (von einigen perfiden
Leuten auch "Indyfada" genannt) ist "Ramona Random" beheimatet.
Sie schreibt sehr fleißig Texte, in denen sie sich Gedanken
"über die Antideutsche Bewegung" macht, unter besonderer
Berücksichtigung des Kosmopolitbüros. Im Unterschied zu Georg
Fülberth, der Historiker ist (und deshalb verpflichtet ist,
seine Untersuchung mit dem Jahr 1989 zu beginnen), sieht sie
alles eher ethnologisch, beschäftigt sich mit indigenen
Kulturen (auch denen außerhalb Marburgs) und läßt in ihre Texte
Namen lustiger Völker einfließen ("Yanomami").
Ihre Schrift könnte der Koalition unserer Streitpartner als
gemeinsames Manifest dienen (Le Manifeste des Enragés
gab es schon einmal, 1793, ansonsten wäre dies ein guter Name
für ihr Programm). Sie enthält alle, nun ja: Argumente und ist
in einer zeitgemäßen, experimentellen Sprache gehalten.
Das Werk (Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen dem
Original) hebt an mit einem Kassandraruf: "Die Antideutsche
Bewegung wird unterschätzt, sowohl in ihren intelektuellen
Fähigkeiten als auch in ihrer Gefährlichkeit." Dann wird das
Ziel des Unterfangens genannt: "Einige Denkfehler und
merkwürdige Auffälligkeiten habe ich hier zusammengestellt."
Nachdem sie alle ihre Denkfehler und Auffälligkeiten
zusammengestellt hat, ist sie traurig über den Antisemitismus:
"Das Thema Antisemitismus ist ein trauriges." Aber ihre Trauer
muß sie sich gut einteilen, denn auch das Thema Ökologie ist
ein trauriges: "Gleiches könnte man aber für fast alle Themen
schreiben, Ökologie steht wieder außerhalb linker Debatten,
angeblich soziale Kämpfe sind vorrangig." Das ökologische
Problem sind die Antideutschen: "Antideutsche könne außer ihrer
zeitung Bahamas keine kreativen Aktionen vorweisen, einerseits
wird jegliches ökologisches konzept abgelehnt, weil ja hitler
Umweltschützer gewesen sein soll oder so." Hitler
Umweltschützer? Der hat doch die ganzen Autobahnen gebaut!
Hinter den Antideutschen stecken übrigens - ja wer
eigentlich? Die Freimaurer? Die Rosenkreuzer? Gar die Juden?
Nein, hinter allem stecken "die Kreationisten, die an die
Schöpfungsgeschichte der Bibel glauben. Diese betreibt eine
Systematische Zensur von Schulbüchern [...] Auch die MArionette
Bush hat den Kreationisten umfassende MAßnahmen zugesagt."
MArionette? MAßnahmen? Zensur? Das klingt ja alles ziemlich
undemokratisch, was die Amis da machen! Wir werden ein Auge
drauf haben.
Zu ihrer Person macht Frau Random übrigens die Angabe, "seit
drei Jahren" "nicht mehr zu kiffen". Da spart sie Geld, zumal
ihr Bewußtsein auch ohne Drogen ständig in Wolken gehüllt ist:
"Beim Traum von einer Weltkultur etc, den ja auch MArx hegte
war schon immer klar, welche Kultur die andern Völker annehmen
sollten. nämlich die aus dem Osten, bzw. Westen." Oder Norden,
bzw. Süden?
"Selbstverständlich würden Antideutsche, Marxisten,
Stalinisten etc. NICHT die umweltverträgliche oft politisch
unkorrekte und hierarchische sehr viel öfter aber politisch
korrekte und unhierarchische Kultur der Indigenistas annehmen."
Nein, lieber nicht. Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach:
"Das macht aber auch sehr schnell die Großstadtmentalität der
Antideutschen deutlich. Entstanden ist das Ganze ja in Berlin,
dem Mekka aller Schickimickilinken, alles auf dem LAnde, wie
Marburg ist hessischer Urwald oder böhmische Dörfer, ihre
Aktivisten eben daraus folgend böhmische Gefreite.Diese
Metrofixierung wird an einem weitern Element antideutscher
Argumentation deutlich. Paralell mit einer bedingungslosen
US-solidarität wird nämlich Stalin schöngeredet wie noch was."
Stalin, ein metrofixierter Schickimickilinker? Frau Random, wir
müssen Sie leider nun verlassen. Ihren ganzen Text hat die
Marburger Vereinigung der Opfer des Stalinismusvorwurfs
freundlicherweise als
PDF-Datei ins Internet gesetzt und als Flugblatt verteilt
(ein entsprechender Link findet sich auf der Seite des
Kosmopolitbüros).
Eine Gegendarstellung: Über das Haus Wannkopfstraße 13
hatten wir geschrieben, es sei ein "Ort, an dem es keine
Heizung und keinen Strom gibt, an dem aber dafür jeder so frei
von der Leber weg schwadronieren kann wie er will, so frei, daß
sich Antisemiten und andere Menschenfeinde so richtig austoben
können. Dort wird keiner rausgeschmissen, wenn er von einer
Weltverschwörung der Illuminaten und Rothschilds phantasiert
oder Legebatterien Hühner-KZs nennt." Das war eine böse
Unterstellung, die die Hausbesitzer entschieden zurückweisen:
Es gibt "im Marburger besetzten Haus Solarstrom und Öfen, zudem
ist es der gelobte Kapitalismus, der den Anschluß ans Stromnetz
verweigert." Da sieht die Sache schon ganz anders aus. Ein Wort
zum "gelobten Kapitalismus": Leute, die von Autarkie
(Selbstgenügsamkeit) schwärmten, gab es immer schon. Früher
wanderten sie aus und kauften sich in Amerika eine Farm. Heute
wohnen sie in der Wannkopfstraße, kaufen ihr Gemüse im
"Bio-Einkaufskollektiv" und zeigen so, daß man es sich im
Kapitalismus gemütlich machen kann. Sie loben ihn, statt durch
Worte durch Taten, und ihren Unsinn als linkes "Projekt".
Georg Fülberth sattelt zur Reise ins alte romantische Land:
"Als 1989 der Kalte Krieg zu Ende ging...", beginnt ein auf
schönem großen, blauen Papier gedruckter und an die Wände des
Ganges G vielfach geklebter Text ("Bahamas in Marburg"). Vom
Ende des Kalten Krieges ist es nur ein kleiner Hüpfer zu seinem
Reiseziel: "...traten die ,Anti-Deutschen' auf. Sie halten
alle, die zu ihrem deutschen Paß weder ein begeistertes noch
ein feindseliges, sondern ein wurstiges Verhältnis haben, für
Nazis." Die ein begeistertes Verhältnis zum deutschen Paß
haben, sind in antideutschen Augen keine Nazis. Alles sehr
mysteriös. Wie das mit dem "wurstigen Verhältnis" zur deutschen
Geschichte der letzten 130 Jahre ist, das hätte man gern
erklärt. Handelt es sich vielleicht um eine Anspielung auf den
Weidenhäuser Metzger (s.o.), mit dem sich Marburger
Leserbriefschreiber derzeit so innig solidarisieren? Der ist
bestimmt ein Nazi, und ein wurstiges Verhältnis zu allem und
jedem hat er schon von Berufs wegen.
In Georg Fülberths Text lernen "wir" (der Autor möchte
möglichst viele emotional miteinbeziehen gegen die
anderen) das Diminutivum als die hohe Kunst der Polemik
kennen: Einmal ist von "Leutchen" die Rede, ein anderes mal von
einem "Früchtchen". Das ist wirklich mit spitzer Feder
geschrieben! Man hört, wie er "Hi, hi!" gesagt haben muß, als
die Früchtchen des Zorns in seinem Kopf reiften.
Der Antideutschen "Zentralorgan heißt ,Bahamas'", glaubt er,
"und erscheint in Berlin. Im April 2003 beglückwünschte seine
Redaktion die Regierungen der USA und Großbritanniens zu ihrem
Sieg über den Irak." Ein Zentralorgan zu besitzen, das
"Bahamas" heißt, war zumindest einem Teil des Kosmopolitbüros
noch gar nicht bekannt. Er wird nun versuchen, Erkundigungen
darüber einzuholen. Bekannt ist hingegen, daß das Zentralorgan
derer, die (wie Georg Fülberth) ein wurstiges Verhältnis haben,
"junge Welt" heißt. Es forderte im März 2003: "Saddam muß
bleiben".
"In Marburg ist der ,Bahamas'-Fanclub nur klein, vielleicht
fünf Personen", sagt Fülberth. "Die Masse könnt Ihr nur durch
Masse zwingen", nicht wahr? Georg Fülberths Partei sind zwar
die proletarischen Massen abhanden gekommen, dennoch schwört er
auf den großen Haufen.
Als Ende 2001 einige Marburger Sozialdemokraten die
Operation "Intelligenter Frieden" starteten, deren Ziel darin
besteht, Ideologien zu entwickeln, mit deren Hilfe Deutschland
und die EU selbstbewußt und moralisch aufgerüstet in die
nächsten Schlachten ziehen können, "warf ihnen ein Flugblatt
Antisemitismus vor", glaubt sich Fülberth dunkel zu erinnern.
"Dies wurde mit der Teilnahme von zwei Bundestagsabgeordneten
begründet, die irgendwie mißfielen. Trotz genauen Studiums des
Flugblatts war nicht herauszufinden, was sie denn verbrochen
haben sollten."
Was mag wohl ein "genaues Studium" im Fülberthschen Sinne
sein? Lesen gehört nicht dazu. Da es nicht möglich ist, alle
Arschlöcher aufzuzählen, die während der bald nun schon zwei
Jahre andauernden Operation "Intelligenter Frieden" nach
Marburg kamen, hier zwei zum Exempel: Wolfgang Gehrcke und
Ekkehart Krippendorff.
Am 13. April 2002 marschierten ungefähr zehntausend
Islamisten und ihr linksdeutscher Anhang durch die Hauptstadt
und brüllten: "Wir wollen keine Judenschweine" und "Heil
Hitler", verbrannten Israelfahnen und zeigten Hitlergrüße.
Wolfgang Gehrcke solidarisierte sich mit den Demonstranten und
hielt dort einen Redebeitrag. Schon am 8. Dezember 2000 hatte
er im Bundestag erklärt, gerade weil Deutschland "mit
Rassenwahn und millionenfachem Judenmord verbunden" sei, müsse
es den überlebenden Juden zeigen, wo's lang geht, "die deutsche
Politik" müsse die "Courage aufbauen", "Druck auszuüben". Als
es im März 2002 besonders viele antisemitische Mordanschläge
gab, forderte er Fischer auf, sich einmal den israelischen
Botschafter vorzuknöpfen.
Das ist das Stichwort für Krippendorff. Sein Steckenpferd
ist seit Jahrzehnten der alternative Imperialismus "von unten".
Deutschland, so Krippendorff, hätte Kosten gespart, wenn es
schon 1989 dem Serben den Stiefel auf die Kehle gesetzt hätte.
Damals, als Deutschland wieder zu alter Form auflief, die
antiserbische Propagandamaschinerie aber gerade erst warm, und
Jugoslawien noch nicht von Genscher und Kinkel zerschlagen war,
damals hätte man die Serben wohlfeil erdrosseln können:
"Abbruch aller diplomatischen Beziehungen, Isolierung in der
UNO, totaler Wirtschaftsboykott, Blockade sämtlicher
Ölzufuhren" und so weiter. Rhetorisch fragt er: "Wäre es der
geballten Intelligenz akademischer Wissenschaft", also der
Krippendorffschen, "wirklich unmöglich, aufklärende, leicht
verständliche, aber klare Analysen zu liefern, die den
verführten und verblendeten Serbonationalisten die Augen
öffnen?"
Dasselbe natürlich mit den Juden. Solange israelische
Politik nicht Krippendorffs Maßstäben genüge, könne "niemand -
auch nicht Henryk M. Broder - erwarten, daß sich die
Friedensbewegungen in Europa und in Deutschland ohne Wenn und
Aber für Israel einsetzen," sagt der Vorstandsvorsitzende der
Friedensbewegungen in Europa und in Deutschland, Ekkehart
Krippendorff ("Taz", 22.1.1991).
Kann er den Juden denn auch trauen, wo sie doch den
Holocaust mitzuverantworten haben?:
"Man stelle sich vor, kein deutscher Jude wäre Befehlen
gefolgt, sich zu Sammeltransporten bei den vorgesehenen
Sammelplätzen einzufinden - einige dutzend, einige hundert,
einige tausend, vielleicht auch einige zehntausend hätte die
deutsche Polizei einzeln (passiver Widerstand!) aus ihren
Wohnungen gezerrt und auf Lastwagen verladen; aber
hunderttausende?...Oder man stelle sich vor, die Kolonnen
Hunderte und Tausende auf dem Weg zu den Güterbahnhöfen hätten
sich schlicht hingesetzt, 'Sitzstreik' nennen wir das
heute..."
("Taz", 19.01.1991).
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Daß es "die Kooperationsbereitschaft der deutschen Juden"
gewesen sei, die "ihnen zum Verhängnis wurde", ist eine
Lieblingsidee Krippendorffs. Sie gefällt ihm so gut, daß er sie
1999 in sein Buch Die Kunst, nicht regiert zu werden
aufnahm und dort entfaltete: "Wer wird behaupten wollen, die
nichtjüdische deutsche Bevölkerung hätte diese offenkundig
brutalen und nur schikanösen Polizeieinsätze auf Dauer ohne
Empörung und Zeichen von Solidarität hingenommen?" Sie war
schließlich bekannt für ihr Eintreten gegen jeglichen
Antisemitismus, manchmal konnte Goebbels nur noch
"zähneknirschen" (S.168). Die "Pogrom- und
Diskriminierungspolitik" (das klingt viel besser als Shoa) habe
"vor allem deshalb Erfolg" gehabt, "weil die deutschen Juden
kooperierten [...]" (S.167). Ihre Ermordung haben sie sich also
selbst zuzuschreiben. Wären sie nicht tot, würde Krippendorff
sie wohl wegen Kollaboration zur Rechenschaft ziehen. Wer diese
Veranstaltungsreihe bislang nicht kannte, hat nun einen
lebhaften Eindruck von ihr empfangen.
"Unorthodoxe Neuigkeiten über Wolfgang Abendroth", hat Georg
Fülberth vernommen. Dafür, daß Abendroth sich Ende der 20er
Jahre in Faschistenkreisen herumgetrieben habe, fehle der
Beleg, denn es sei gelogen. Hier lügt wirklich jemand. Der
Beleg ist für jeden da, der Augen hat, wäre er etwas kürzer,
könnte man ihn hier zitieren. Die "Faschistenkreise" sind in
diesem Fall der Kreis um Karl Otto Paetel, in dessen Zeitung
"Die sozialistische Nation" Abendroth schrieb. Abendroth
schrieb außerdem in weiteren faschistischen Zeitschriften: "Das
junge Volk", "Zwiespruch" und "Die Kommenden. Großdeutsche
Wochenschrift aus dem Geiste volksbewußter Jugend". Er hielt
darüberhinaus Kontakt zu Hans Ebeling, dem Führer des
"Jungnationalen Bundes" (nach Louis Dupeux,
"Nationalbolschewismus" in Deutschland 1919-1933.
Kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München
1985, S. 285f. und S. 357).
Abendroths Freund Ernst Niekisch (für dessen Anerkennung als
Widerstandskämpfer Abendroth sich einsetzte, laut Georg
Fülberth aus karitativen Gründen) war der Ansicht, Hitler sei
nicht nationalistisch genug. Hitler wolle den "Aufstand des
deutschen Blutes" bloß "an sich reißen", um ihn "auf ein totes
Geleis zu bringen", argwöhnte Niekisch.
Daß das Zuchthaus-Urteil gegen Abendroth "in Ordnung"
gewesen sei, steht in dem von Fülberth beanstandeten Text
nicht, aber es erleichtert ihm wohl die Sache, wenn er es
unterstellt. Der Text befaßt sich im übrigen nicht mit
Abendroths Widerstand, sondern mit seinen politischen
Verbindungen während der Weimarer Republik. Davon will Fülberth
ablenken, indem er davon spricht, das Argument sei "nicht neu",
der CDU-Politiker Wallmann habe einmal gesagt, "das
Zuchthausurteil gegen Abendroth 1937 sei ganz in Ordnung
gewesen, weil der Angeklagte ja nicht für die
Freiheitlich-Demokratische Grundordnung, sondern für den
Kommunismus gekämpft habe." Wo hat Fülberth bei uns dergleichen
gelesen? Hat er vielleicht eine ganz andere Broschüre in der
Hand gehabt?
Über Maria Sporrer sagt er: "In ihrer Heimat Österreich ist
sie wegen ihrer antifaschistischen Arbeit bereits zweimal
ausgezeichnet worden. Sie ist Mitverfasserin einer - durchaus
sympathisierenden - Biographie Simon Wiesenthals. In der
Broschüre des Kosmopolitbüros wird sie in einer Bildmontage als
eine Art Gangsterbraut von Yassir Arafat dargestellt. Ihr
Verbrechen: Sie bietet ein (im übrigen sehr gut besuchtes)
Seminar über den Nahost-Konflikt an."
Wer beschimpft hier denn nun? Bei allem, was wir kritisiert
haben: Nie würden wir einem Menschen etwas so Harsches an den
Kopf werfen wie den Vorwurf, er habe eine "Heimat Österreich".
Allerdings ist es eine amüsante Vorstellung, wir hätten
angeprangert, ihre Seminare seien zu schlecht besucht. Daß eine
Biographie Simon Wiesenthals "durchaus (?) sympathisierend"
ausfällt, ist für Georg Fülberth offenbar keine
Selbstverständlichkeit, sondern etwas, das besonderer Erwähnung
bedarf.
Über Kühnls Hetzrede gegen Israel sagte Maria Sporrer
immerhin (wenn auch viel, viel später), sie sei "schockiert"
gewesen über "die völlige Einseitigkeit" und hätte Kühnl "nicht
eingeladen", wenn sie das "vorher gewußt" hätte. Georg Fülberth
weiß das alles, tut aber naiv: Kühnl werde "vorgeworfen, einen
Vortrag mit dem Thema ,Problem Israel' gehalten zu haben. Nun
will er erklärt haben, was "daran schlimm" sei. Das wußte man
spätestens nach Kühnls Hetzrede, man hätte es aber auch schon
vorher wissen können:
"Der Ausdruck "Problem", dem Bereich der Wissenschaft
entnommen, wird dazu benutzt, den Anschein eindringlicher und
verantwortlicher Überlegung hervorzurufen. Wer auf ein Problem
hinweist, behauptet implizit persönliche Distanz vom fraglichen
Gegenstand, gibt Objektivität vor. Das ist eine ausgezeichnete
Rationalisierung für Vorurteile, denn es wird der Eindruck
erweckt, als sei die eigene Haltung nicht subjektiv motiviert,
sondern das Ergebnis angestrengten Nachdenkens und gereifter
Erfahrung. [...] Sobald die Existenz eines "jüdischen Problems"
zugestanden wird, hat der Antisemitismus seinen ersten Sieg
erschlichen; ermöglicht durch die äquivoke Natur des Ausdrucks,
der sowohl einen Gegenstand neutraler Analyse als auch, wie der
alltägliche Gebrauch des Wortes ,problematisch' für eine
dubiose Sache andeutet, etwas Negatives bezeichnen kann. [...]
Während der Anschein der Objektivität gewahrt bleibt, wird
stillschweigend unterstellt, daß die Juden das Problem sind
[...] Es ist nur ein Schritt von diesem Standpunkt zu der
Ansicht, daß dieses Problem - seinen eigenen speziellen
Erfordernissen, also der problematischen Natur der Juden gemäß
- behandelt werden muß, und daß dies selbstverständlich die
Grenzen demokratischen Verfahrens überschreiten wird. Überdies
verlangt das ,Problem' nach einer Lösung, und sobald die Juden
selbst als dieses Problem abgestempelt sind, werden sie zu
Objekten, nicht nur für "Richter" mit höheren Einsichten,
sondern für die Vollzieher einer Aktion."
Theodor W. Adorno: Studien zum autoritären
Charakter.
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Die Bahamas hat Georg Fülberth vor Augen. Ein Blick auf die
Karte zeigt, wo er sich gerade befindet: im Bermuda-Dreieck.
Man hatte ihn gewarnt, lieber nicht loszusegeln, nicht auf
diesem Kahn, nicht mit dieser Mannschaft. Schon nach wenigen
Tagen wußte er nicht mehr, wo er sich befand, da die
Navigatorin Ramona Random Westen und Osten nicht
auseinanderhalten kann. Als dann die Besatzung, bestehend aus
Kühnl, Krippendorff und Gehrcke, aufs Deck gerufen wurde, war
plötzlich das ganze Schiff in einen rötlich-braunen Nebel
gehüllt. Die Fracht (Bücher über das Problem Israel) rutscht im
Laderaum beständig nach Steuerbord, so daß das Schiff heftige
Schlagseite bekommen hat. Der Kapitän hatte zwar angeordnet,
ein Gegengewicht zu schaffen, indem auf der anderen Seite -
durchaus sympathisierende - Biographien Simon
Wiesenthals geladen wurden, aber das half nichts. Über die
Reling schwappt die Gischt, das Ruder ist gebrochen, das Schiff
stampft und ächzt und schaukelt.
Kosmopolitbüro
kosmopolitbureau@gmx.net
http://www.kosmopolitbureau.unwissenschaftlich.de
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