Auf die Relativierung der Nazi-Verbrechen folgt ihre
Banalisierung. Deutschlands akademische Elite zwischen links
und rechts fühlt sich einmal mehr berufen, schon tausendmal
gezogene und noch öfter widerlegte Vergleiche neu aufzulegen,
vor allem dann, wenn es ihr darum zu tun ist, Israel als ein
Problem, welches wenigstens der wissenschaftlichen Erörterung
bedarf, zu definieren und deutsche Geschichte, vorsichtig
ausgedrückt, zu entproblematisieren. In den folgenden zwei
Beispielen erfolgt dies auf unterschiedliche Art und Weise,
zumindest auf den ersten Blick. Weil aber die Professoren Udo
Steinbach und Georg Fülberth, die sich ansonsten wohl ungern in
einem Atemzug genannt wissen möchten, ihrerseits auf die
Wissenschaftlichkeit des Vergleiches und der Definition des
Problems bestehen, werden die Unterschiede im Folgenden
vernachlässigt, um ganz unwissenschaftlich die Gemeinsamkeiten
hervorzuheben.
Steinbach, Leiter des vom Außenministerium finanzierten
Deutschen Orient-Instituts, fragte sich am 6. Januar 2003 in
Salzgitter öffentlich: "Wenn wir sehen wie israelische Panzer
durch palästinensische Dörfer fahren und sich die verzweifelten
Menschen mit Steinen wehren, dann müssen wir im Blick auf
Warschau und im Blick auf den Aufstand der Juden im Warschauer
Ghetto auch fragen dürfen, war das dann nicht auch Terror?"
Entweder sind die Palästinenser, die sich heuer anderer Mittel
als Steine bedienen, genauso Terroristen wie die Juden im
Warschauer Ghetto. Oder sie sind es, weil ihr Widerstand ebenso
legitim ist, eben nicht - aber dann sind die Israelis die Nazis
von heute. Wie man es dreht und wendet: Die Juden sind schuld
und die Deutschen entlastet.
Ein halbes Jahr später: Steinbach ist noch immer da - die
Rücktrittsforderungen seitens des Vorsitzenden der Berliner
Jüdischen Gemeinde, Alexander Brenner, und des
Simon-Wiesenthal-Centers drangen nicht einmal in die deutsche
Öffentlichkeit.
Fülberth, Geschichtsprofessor aus Marburg und den Lesern von
Jungle World und Konkret kein Unbekannter, beschwerte sich Ende
Mai in einem persönlich gezeichneten Flugblatt über eine
studentische Initiative, die Lehrveranstaltungen seiner
Kollegen Maria Sporrer und Reinhard Kühnl unter der Überschrift
"Intifada an der Uni" scharf kritisierte. Sie tat dies unter
dem sympathischen Namen "Kosmopolitbüro" und der Verwendung von
Belegen, was Fülberth schlicht bestreitet. Darüber hinaus münzt
er deren Forderung, Sporrers anti-israelische Seminare zu
stören und der Seminarleiterin und den Seminarbesuchern "auf
den Nerven herumzutrampeln, bis sie blank liegen", um in
"Angriffe auch die körperliche und nervliche Gesundheit von
Lehrpersonen" und folgert: "Das machten 1932/33 die Nazis".
(Alles nachzulesen unter www.kosmopolitbureau.unwissenschaftlich.de)
Jene Minderheit also, die es stört, wenn Kühnl über den
"Siedlungskolonialismus" Israels doziert und Sporrer jeden Nazi
in ihrem Seminar zu Wort kommen lässt, und die ein Ende dieser
antisemitischen Veranstaltungen fordert, benimmt sich also wie
die Nazis.
Ist ja auch logisch, folgt man Steinbach, wenn die Israelis
die Nazis von heute sind, dann sind die Freunde Israels nicht
nur dessen fünfte Kolonne, ein Wort das Fülberth wahrscheinlich
nicht gern in den Mund nimmt, sondern ebenfalls Nazis. Wie
anders ist es zu interpretieren, wenn Fülberth zur Verteidigung
Kühnls nur zu sagen hat: Für einen Wissenschaftler gebe es
"keine Angelegenheit, die kein Problem wäre, so oder so"? So
oder so, ex oder hopp, gehupft wie gesprungen: Ein linker
Lehrkörper im Reich der positivistischen Freiheit. Zum Problem
verdinglicht wird alles vergleichbar, der palästinensische
Terror zum "Widerstand" bei Kühnl und der jüdische Staat zum
Staatsterroristen bei Steinbach - oder war es umgekehrt? Bei so
viel Gleichförmigkeit könnte man zum Poststrukturalisten
werden.
Konsequent wäre es, wenn Fülberth auch Steinbach
verteidigte: im Namen der Wissenschaft. Denn Ähnliches und
Schlimmeres als Steinbachs Ghetto-Vergleich fiel in den
Seminaren Sporrers allemal. Was aber reitet einen wie Fülberth
eine solche Lehrveranstaltung zu verteidigen? Wenn sein Kollege
Kühnl meint, einen Vortrag unter dem Titel "Das Problem Israel"
halten zu müssen, wieso lässt er es nicht dessen Problem
sein?
Bislang hatte Steinbach keine Rückendeckung nötig, mangels
einer Öffentlichkeit, die seine Bemerkungen zur Kenntnis nähme
und ihrerseits problematisch fände; der Marburger Sturm im
Wasserglas ist durch Fülberths Intervention erst zum Skandal
geworden. Er hätte sich enthalten sollen - hat er aber nicht.
Im Gegenteil hat er mit seinem, die NS-Studentenschaft der
Jahre 1932/33 grotesk banalisierenden und zugleich die Kritiker
des universitären Diskurs-Antisemitismus unsäglich
dämonisierenden Vergleich vielmehr ein Bekenntnis abgelegt,
welches ihm dieselbe Rechtssicherheit deutscher
Intellektualität garantiert, das auch Steinbach für sich in
Anspruch nimmt. Denn schließlich sagt er selber, die Kritiker
jener Lehrveranstaltungen seien "höchstens 5 Personen", während
jene NS-Studentenschaft - gemeinsam mit dem NS-Lehrkörper -
nicht nur im Marburg jener Jahre majoritär gewesen ist.
Ein bisschen, aber wirklich nur ein kleines bisschen lustig
an der Sache ist, dass Fülberth - um nicht wie einer jener
"Frankfurter Westend-Philosophen" (Fülberth über Max Horkheimer
und Theodor W. Adorno) zu wirken, welche im antiautoritären,
antibürgerlichen Gestus von 1968 einen Hauch Strasser
verspürten, der ihnen kalt über den Rücken lief - nicht nur die
Studentenbewegung mit der zweifelhaften Bemerkung in Schutz
nimmt, sie habe Lehrveranstaltungen "nur umfunktioniert",
anstatt sie zu sprengen, sondern gleich noch jenen Hauch
linksradikalen NS mitverteidigt, den Kühnls und sein eigener
Lehrer Wolfgang Abendroth eher sympathisch fand.
Abendroth, unbestritten ein Antifaschist, hatte immer
kritisiert, dass die Linke den Strasser-Flügel der NSDAP nicht
unterstützt hatte; am Nazi-Regime hatte er wie viele andere
Antifaschisten auch - und das schmälert nicht ihren Widerstand
und schon gar nicht erlittenes Leid! - am allerwenigsten die
Volksgemeinschaft auszusetzen, am allermeisten dessen
Verbandelung mit der Großindustrie. Für die Radikalisierung zum
Massenmord aber war wesentlich erstere zuständig, letztere
stellte das Werkzeug. Fülberth entgegnet den Kritikern, die auf
Abendroth verweisen, mit der Bemerkung, auch Walter Wallmann
habe seinerzeit behauptet, Abendroth sei deswegen zurecht
verurteilt worden, weil "der Angeklagte ja nicht für die
Freiheitlich-Demokratische Grundordnung, sondern für den
Kommunismus gekämpft habe." - Absurd, eingedenk der
gebetsmühlenhaften Verteidigung des Grundgesetzes durch eben
jenen Abendroth, die der Gegenstand der Kritik an ihm in der
umstrittenen Broschüre ist.
Steinbachs Ghetto-Vergleich war schon früher einmal von
einem anderen Autoren, nämlich Fritz Teppich, in der
notorischen Jungen Welt nachzulesen. Und auf das Recht, Israel
zu problematisieren, bestehen an deutschen Hochschulen vor
allem linke und ehemals linke Lehrpersonen. Das neueste linke
Deutschland der "Pace"-Fahnen, wo man alles über die Juden
sagen kann, solange man nur den Eindruck erweckt, als müsse man
sich der Übermacht jüdischer Deutungshoheit im Namen der
Wahrheit widersetzen, ist noch ein Sieg der Achtundsechziger:
als hätten sie es darauf angelegt, jene Frankfurter
Professoren, deren Veranstaltungen im Gegensatz zu denen
zahlreicher Kollegen mit glanzvoller brauner Vergangenheit ganz
und gar nicht "nur umfunktioniert" wurden, posthum zu
bestätigen.
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