Deutsch: Mit Auschwitz in die Zukunft
Rede auf der Kundgebung "Congratulations to
60 years Day of Liberation" am 8. Mai 2005 in Marburg
Heute vor sechzig Jahren konnten die Truppen aus England,
Frankreich, den Vereinigten Staaten von Amerika, der Sowjetunion,
Kanada, Australien, Indien, Neu Seeland, Südafrika, Dänemark,
Norwegen, Belgien, Holland, Griechenland, Jugoslawien und Polen und
die Einheiten der Partisanen das nationalsozialistische Deutschland
zur bedingungslosen Kapitulation zwingen. Bis zum Schluß - und an
manchen Orten sogar darüber hinaus - hatten die Deutschen in ihrer
wahnhaften antisemitischen Überzeugung gegen die Befreiung ihrer
Opfer gekämpft: noch die kleinste Stadt wurde verteidigt, während
die Menschen aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern quer
durch das ganze Land auf den Todesmärschen weiter gequält und
gemordet wurden.
So lange es irgend ging, ermordeten Deutsche ihre Opfer, kein
Zeuge der Verbrechen sollte überleben. Wenn das von den Deutschen
heiß geliebte Deutschland unterging, sollte auch die Erinnerung der
Opfer und die Erinnerung an die Opfer ausgelöscht werden.
Dem mörderischen Projekt der Deutschen wurde von den Alliierten
ein Ende bereitet, aber die Projektionen lebten fort: das,
deutsche Wir, welches im Nationalsozialismus durch die Vernichtung
der europäischen Juden zu sich selbst gekommen war, blieb im
Bewußtsein der Deutschen Niederlage erhalten. Die Deutschen
befürchteten zunächst die Rache ,derjenigen, die ihren mörderischen
Wahn überlebt hatten und die Strafe der Alliierten. Diese blieben
aus.
Die wenigen Überlebenden galten den Tätern, als Störenfriede in
der deutschen Abwehrgemeinschaft.
Mit dem Deutschen Kollektiv lebte der Antisemitismus nach
Auschwitz ungebrochen fort. Das gemeinsam begangene Verbrechen
wurde in Deutschland wie ein Geheimnis beschwiegen, Überlebende
wurden isoliert, als unliebsame Zeugen der Verbrechen angefeindet
und durch die Verweigerung einer Entschädigung und durch die
Weiterexistenz dieses Kollektivs beleidigt. Gleichzeitig wurde die
Bereicherung durch Plünderungen, Arisierung und Mord als
Wirtschaftswunder - als eigene Leistung, als ein Trotzdem gegen die
eigene Geschichte gefeiert. Währenddessen quasselte man
unaufhörlich über eigenes erlittenes Unrecht: Vertreibung,
Bombennächte, angeblicher Hunger, das war die Geschichte der
Deutschen.
Dieses Gequassel ist heute Teil der deutschen Gedenkpolitk,
sechzig Jahre später redet man ganz schamlos über die eigenen
deutschen Befindlichkeiten, Gedenken ist jeden Tag, ob in einem
ehemaligen Konzentrationslager oder auf einem Soldatenfriedhof, wo
die einstigen Mörder geehrt werden; man redet von Befreiung oder
von Niederlage und es scheint völlig austauschbar zu sein, welchen
Terminus man verwendet, weil ohnehin egal ist, was in Auschwitz
passiert ist. Die Rede von Richard Weizsäcker 1985, in denen die
Schlüsselworte Schuld und Verantwortung waren, scheint zu einer Art
Fazit geworden zu sein: in ihr, meint man, ist alles zum Thema
gesagt worden.
Und so plappern heute alle gemeinsam und alle durcheinander;
dieses postmoderne Gerede verdichtet sich zu einer geschlossenen
Haltung: Gedenken wurde so zur nationalen Aufgabe erhoben, ein
Gedenken, welches das Gegenteil von Erinnerung ist, weil es sich
immer wieder auf den deutschen Rahmen bezieht, auf sich selber und
auch die eigene Betroffenheit.Dieses Gedenken war immer schon
darauf angelegt, Deutschland zu rehabilitieren, und darin hat es
sich durch die Jahre hindurch immer wieder erneuert.
Diesem Projekt der Rehabilitation standen über Jahre hinweg
Forderungen nach Entschädigung von Überlebenden und ihren
Organisationen im Ausland im Weg. Nach langjährigem Druck - vor
allem aus den USA - wurde ein nationaler Fond eingerichtet, den man
ganz programmatisch "Erinnerung - Verantwortung - Zukunft" nannte.
Heute werden Ansprüche von Überlebenden mit dem Verweis auf diesen
Fond zurückgewiesen. Durch kleine Almosen an die noch lebenden
Zwangsarbeiter, glaubt man, auch dieses Kapitel sei
abgeschlossen.
Mit Auschwitz in die Zukunft, scheint über allem drüberzustehen,
was natürlich nur dann geht, wenn man Auschwitz seinen Schrecken
nimmt und es damit völlig derealisiert. Auf der
Gedenkveranstaltung, die die Vereinten Nationen zum Tag der
Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar dieses
Jahres das erste Mal überhaupt abhielten, sagt Fischer: "Auschwitz
ist das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte". Und betont
damit gerade, daß man nun von der Dunkelheit ans Licht gegangen ist
und deutet gleichzeitig an, es wäre eben nur ein dunkles Kapitel in
der Geschichte Deutschlands, so wie andere Länder die ihrigen
hätten.
Wenn Joschka Fischer in Sachsenhausen sagt: "Wir möchten das
Unfaßbare begreifen, das doch jede menschliche Vorstellungskraft
übersteigt. Vergeblich suchen wir nach letzte Antworten." so
benennt er damit nicht das Unaushaltbare und nicht zu Verstehende,
sondern gibt damit den Gestus deutscher Identität im Jahr 2005
wieder: außermenschlich und außerhistorisch scheint der NS zu sein,
man hat eben verstanden, daß man nicht versteht, was Deutsche
selbst getan haben. Gerhard Schröder wiederum meinte zum 27.
Januar: "Es hat einige Zeit gedauert, bis dieser historische Riß
nach Kriegsende in seinem ganzen Ausmaß erfaßt wurde." Nun ist das
Paket der Vergangenheit also verschnürt und es kann konserviert
werden.
Im Deutschen Gedenken gibt sich das Gerede über Menschenrechte
als Reflexion auf die Shoa aus, der spezifisch deutsche
antisemitische Wahn wird in die Allgemeinheit der Verstöße gegen
die Menschenrechte aufgelöst: Genauso, wie auch andere Linke unter
ihren Flugblättern stets mit sinnlosen Aneinanderreihungen
wie "Nie wieder Faschismus, Rassismus, Nationalismus und Krieg!"
aufwarten, sprach Joseph Fischer in seiner Rede zum sechzigsten
Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen von
Nationalismus, Krieg, Rassismus und Verfolgung. "Nie wieder
Verfolgung", fordern die Vertriebenen seit ihrer Vertreibung, unter
"verfolgt" können sich die Deutschen nämlich etwas vorstellen - ist
das Gefühl des "Verfolgtseins" doch eine der Grunddeterminanten
deutscher Befindlichkeiten. Antisemitismus und Shoa verschwinden
hier in allgemeinen Begriffen wie Menschenrechte, Krieg und Frieden
- Verantwortung für Frieden auf dieser Welt und den Menschen
einwohlgefallen.
Auch das offizielle Verhältnis zu Israel ist ein völlig
sinnentleertes: die Lehre aus Auschwitz ist, sich besonders für
Israel verantwortlich zu fühlen, und anstatt uneingeschränkte
Solidarität zuzusichern, sagt das offizielle Deutschland immer
wieder, es erkenne das Existenzrecht Israels an - was ja nichts
anderes heißt, als genau dieses zur Disposition zu stellen, wie man
es täglich in den Medien lesen kann oder auf den Straßen hört: denn
während der Außenminister immer wieder seine Verantwortung für
Israel betont, identifizieren Deutsche ganz wahnhaft in Israel die
größte Gefahr für den Frieden. Das sagt auch viel über die deutsche
Vorstellung von Frieden aus. Das sagt auch viel über die deutsche
Vorstellung von Frieden aus. Die Barbarei der Islamisten und der
Vertreter autochtonen Völker stören ihn nämlich nicht.
Deutsches Gedenken ist hermetisch, es ist abgeriegelt gegen die
Trauer um die Opfer und ist somit ein Kreisen um sich selber. Die
heute lebenden Juden - ob nun in Deutschland oder in Israel -
kommen darin nicht vor, die Sinti und Roma hierzulande
interessieren auch nur ganz selten mal. Das deutsche Gedenken ist
so empathielos , wie die Gesichter der Deutschen, die von den
Alliierten gezwungen wurden, sich die Massengräber und Leichenberge
in den Konzentrationslagern anzusehen. Es erscheint den Deutschen
als Unverschämtheit, wenn sie daran erinnert werden, daß es Ihre
Normalität nach Auschwitz nicht hätte geben dürfen In dieser
Normalität werden sie - wenn überhaupt - nur von außen gestört,
Offensiv wird die Welt von Deutschland zur Versöhnung aufgerufen,
die Welt soll zur Versöhnung erpreßt werden. Aber Versöhnung mit
Deutschland hieße die Preisgabe jeder Vorstellung von menschlicher
Emanzipation.
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